Du sollst nicht lieben

geschrieben für beatpunk

Bereits mit der ersten Szene von »Du sollst nicht lieben« kreiert der israelische Regisseur Haim Tabakman eine hochgradige Anspannung, aus der Protagonisten und Publikum bis zum Ende des Films nicht entlassen werden. Die Enge, die in diesen einführenden Bildern entsteht, wird im Grunde jede weitere Kameraeinstellung bestimmen. Sie ist das Abbild der Enge von Wänden und Mauern in diesen Vierteln, der Enge eines Lebens in einer orthodoxen, von starren Regeln zusammengehaltenen Gemeinschaft. Sie lässt den Eindruck einer viel zu kleinen Bühne entstehen, vor deren schlichter Kulisse sich ein Drama entwickelt, das dabei doch gut auf eigentlich dramatische Elemente verzichten kann.Zunächst sind es die Spuren eines überraschenden Todes, die sich auf bedrückende Weise einprägen: Aaron, etwa 40 Jahre alt, Bewohner eines orthodoxen Viertels Jerusalems, muss die Metzgerei seines kurz zuvor verstorbenen Vaters Menachem wiedereröffnen, findet dabei den umgefallenen Stuhl, den Hut des Vaters, dessen herumliegende halbaufgerauchte Zigarette. Sanft und mühsam beherrscht tritt Aaron auf und erkennt in der Wiederherstellung der Ordnung auch die Neuordnung seines Lebens. Aber es ist trotzdem vor allem seine Sanftheit, die sich kurz darauf auf Ezri richten wird, der im gerade geöffneten Laden mehr strandet als dass er ihn betritt; hereingespült wird vom typischen wolkenbruchartigen Regen im Jerusalemer Frühling.

Ezri ist Anfang 20 und sucht etwas, sucht jemanden, wie sich herausstellt, jemanden, der ihn abweist und Ezri allein da stehen lässt, so allein, wie orthodoxe Gemeinschaften, egal welcher Religion sie anhängen, ihre Mitglieder selten sein lassen. Dieser Fakt offenbart sich den Zuschauenden durch die Augen Aarons, der Ezri sofort die Stelle der von ihm gesuchten Ladenaushilfe und die Schlafkammer über der Metzgerei als vorübergehende Unterkunft anbietet. Was sich daraus folgend fast sachlich und fast zu schnell entwickelt, ist auch mit dem eher unsäglichen deutschen Filmtitel im Grunde erwartbar: Aaron und Ezri werden sich ineinander verlieben, die streng religiöse Gemeinschaft wird diesen Fakt nicht dulden, sie wird Entscheidungen fordern und forcieren, um die angeblich allen Beteiligten drohende Katastrophe zu verhindern. Der Film wird hier keine Horrorszenarien abbilden, sondern einen zurückhaltenden Blick auf die Unmittelbarkeit werfen, mit der Wünsche, Angebote, Unverständnis, Ängste, Hilfe und Forderungen geäußert werden, um doch ein Ziel zu erreichen: die als religiöse Verirrung wahrgenommene homosexuelle Liebe rigoros auszuschließen. Dabei sind die Rollen klar verteilt: Aaron, als anerkannter »ehrenhafter Mann« muss vor Ezri als »dem Bösen« bewahrt werden und mit allen Mitteln davon überzeugt werden, sich gegen ihn zu wenden.

Was dieser Film sein soll, hat Haim Tabakman in einem vielzitierten Interview mit Thierry Colbin formuliert: Er möchte ein Tabu brechen und das damit verbundene Schweigen zu Homosexualität in der orthodoxen Welt überwinden. Nur dadurch, so Tabakman, könne sich eine gewaltlose Form des Umgangs und eine Anerkennung entwickeln. Lobende Pressestimmen und Festivalpreise sprechen dazu ihre eigene Sprache und sie haben in vielem Recht: »Du sollst nicht lieben« ist eindrücklich sensibel und fast zärtlich in seiner filmischen Inszenierung. Er erhebt keinen Anspruch auf die vollständige Erklärung der Komplexität religiöser Gemeinschaften, sondern berührt sie da, wo sie in der Begegnung der Protagonisten von Relevanz ist. Darüber hinaus kann der Film Themen eröffnen, die ihn anschlußfähig machen für Diskussionen, die den Rahmen der Erzählung verlassen, Themen wie autoritativen Konformismus und repressive Toleranz in modernen kapitalistischen Gesellschaften oder die Frage nach einem Freiheitsversprechen, das in homosexueller Liebe gegenüber der normativen Beengt‑ und Beschränktheit der heterosexuellen Matrix liegen kann, ob nun als Klischee oder nicht. Hier verläßt der Film den Randbereich, in dem »ein Tabu berührt« wird (Verleihwerbung Edition Salzgeber) und er verlässt den Orkus des Labels von »schwul/lesbisch/queerem Drama«, unter dem er wahrscheinlich neben »Brokeback Mountain« in den Regalen der Videotheken einsortiert werden wird.

Du sollst nicht lieben, Regie: Haim Tabakman, Engl. Titel: Eyes Wide Open, Originaltitel: Einaym Pkuhot, Deutschland, Frankreich, Israel 2009, 90 Min.