Lieb ist Leides Anfang oder: Herzschmerz, warenförmig

Eva Illouz, derzeit Professorin für Soziologie in Jerusalem, ist auf die emotionalen Schlachten, die in der Moderne geschlagen werden, abonniert. Erst waren es Der Konsum der Romantik, dann Die Gefühle in Zeiten des Kapitalismus, kurz darauf Die Errettung der modernen Seele, nun also: Warum Liebe wehtut. Der Buchumschlag leuchtete nur kurz nach Veröffentlichung wie eine heilsbringende rosa Laterne in den Buchhandlungen – prompt war die erste Auflage innerhalb von zwei Tagen vergriffen. Ob nun in Erwartung schlichter Ratgeberschaft oder mit dem gesellschaftswissenschaftlichen Anliegen von Eva Illouz bereits durch die vorhergegangenen Werke in Kontakt geraten – der Bedarf nach Erklärung für etwas, was allgemein als „schönstes Leiden der Welt“ gilt, scheint ungebrochen groß zu sein.  „Dieses Buch will erreichen, daß die Analyse der Probleme zeitgenössischer Beziehungen aus einer anderen als der üblichen Perspektive in Angriff genommen wird.“ (Warum Liebe wehtut, S. 15)

Die übliche Perspektive und die Perspektive von Eva Illouz unterscheiden sich vor allem in einem: In dem Nichtvorhandensein, respektive der Unausweichlichkeit einer kapitalismuskritischen Analyse menschlicher Verbindungen. Aber wie kann auch gerade da, wo der Mensch auf andere Menschen trifft und sich etwas von ihnen wünscht, was sich nicht in materialisierter Form aufbieten lässt, die allgemeine Warenförmigkeit des Alltags ausgeblendet werden? Es kann, ja, es muss doch gerade hier offenbar werden, wie tief das Gesetz von Angebot und Nachfrage sich in Gefühle und Körper eingeschrieben hat, oder, um mit Pierre Bourdieu zu sprechen, imHabitus inkorporiert hat – und wie sehr die Menschen auch hierbei glauben, dass dieses Gesetz der Wahrheit entspricht.
Aber weil die Liebe eine heilige Kuh ist, denken die einen Menschen, bei ihr sei alles anders. Die Menschen wiederum, die heilige Kühe verabscheuen, haben dementsprechend auch mit dem, was Liebe sein soll, nicht mehr viel am Hut. Um herauszufinden, warum die einen dies und die anderen jenes tun, warum sie sich dennoch im selben Käfig kollektiven Leids treffen, welches sie dann wiederum gänzlich individualisiert zu lösen haben – und was das alles noch mit der Verteilung wirtschaftlicher und politischer Macht zu tun hat, befragt man am besten Eva Illouz. Frau Illouz wiederum fragt: Was sind die Merkmale moderner Liebesbeziehungen? Und eröffnet: Nein, diese sind nicht mehr charakterisiert durch die romantischen Wahlverfahren heterosexueller Normverbindungen, bei denen letztlich die Frau entschied, wem sie ihre Gunst erwies, um sich nach Eheschließung in der Regel dem Manne bedingungslos unterzuordnen, so sehr sich dieser auch daneben benahm.
Nein, die neue Architektur weist auf: Bindungsängste, Unverbindlichkeit, sexuelles Übermaß, aber vor allem: Keine Geduld mehr für gemeinsame Wachstumsprozesse. Spätestens, wenn am Horizont „etwas Besseres“ auftaucht, etwas, bei dem es wieder „Wow!“ macht, manchmal auch nur, weil es „etwas Neues“ ist, hat das Grübeln, ob man sich tatsächlich, wenn überhaupt, mit der richtigen Person eingelassen hat, ein Ende.
Warum Liebe weh tut ist aber kein Loblied auf vergangene Geschlechterungerechtigkeiten, sondern ein scharfer Blick darauf, welche Transformationen diese in den letzten 50 Jahren durchlaufen haben. Behutsam, wie man es von SozialwissenschaftlerInnen nicht unbedingt gewohnt ist, belegt Eva Illouz anhand ihrer Forschungen in Westeuropa, Nordamerika und Israel, wieso folgende Annahme noch immer zu gelten hat: Die Liebe als Symbol engster menschlichster Verbindungen ist der Boden für die gesellschaftliche Macht des Patriarchats. Die Individualisierung der Lebensstile und die Intensivierung emotionaler Lebensprojekte, die Ökonomisierung sozialer Beziehungen, der Gestaltung des Selbst und sogar der Gefühle, egal welcher Geschlechter, haben daran nichts geändert. Sie haben stattdessen bestimmte Abhängigkeiten verschärft: Wer kein interessantes Liebesobjekt sein eigen nennen kann und darob leidet, muss dieses Leiden schnellstens überwinden. Wer das nicht schafft, gilt in der Regel als von psychischen Problemen gezeichnet. Aber was hilft angesichts der drohenden Selbstzerstörung, die durch die wahnhafte Suche nach Anerkennung entsteht, die in hohen Dosen benötigt wird, da sie in kleinen nicht mehr wachsen kann? Richtig, die vollkommene emotionale Autonomie. Was danach noch als Leidenschaft durch die menschlichen Beziehungen geistert, kann im Grunde nur disziplinierter Ausdruck von emotionaler Rationalisierung sein, die sich mit „Selbstzweifeln, Ironie und einer hypersexualierter Kultur“ (S. 355) in einer von Pathos und romantischem Begehren freien Sphäre zur ständigen Selbstkontrolle mahnt. Liebe kann viel, Geld kann alles. Klingt nicht gerade hoffnungsvoll? Nein, aber es ginge ihr ja auch nicht um die modernen Formen glücklicher Liebe, schreibt Eva Illouz: „Glück kommt auch ohne die Bemühungen der Wissenschaft aus, was sich vom Unglück nicht unbedingt sagen lässt.“ Eva Illouz hat ein Buch geschrieben, dass einen Anspruch der Soziologie erfüllt, der selten so klar in Erscheinung tritt: Gesellschaftliche Phänomene sozialer Ungerechtigkeit, ihre Ursachen und Konsequenzen kritisch zu untersuchen und zu erläutern – auch mit dem Ziel, dass sich etwas an ihnen verändert. Die Liebe ist dafür als Gegenstand unbedingt geeignet.

Eva Illouz, Warum Liebe wehtut, Suhrkamp, 467 Seiten, 24,90 Euro

geschrieben für drift