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Vier mal Berlin im März.

„Schmeißt den Pöbel raus!“

Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) hat es momentan wirklich nicht einfach: Erst weigert sich der Neuköllner „Pöbel“, ihm zuzuhören, dann muss er sich auch noch für den Entstehungskontext des Buches rechtfertigen, aus dem er gern gelesen hätte.

Die Helene Nathan-Bibliothek in den Neukölln-Arcarden hat vermutlich selten einen solchen Ansturm erlebt: Etwa 150 Menschen folgen am 13. März der Einladung der Veranstalter_innen. Buschkowsky soll hier sein Buch „Neukölln ist überall“ vorstellen, in dem er sich dem Lieblingsthemen des deutschen Mehrheitsekels annimmt: missglückte „Integration“ und „Multikulturalität“. „Eine Gesellschaft, die die Forderung nach Integration gar nicht erst stellt, muss sich nicht wundern, dass keiner der Forderung nachkommt“, so sein Fazit.

Ein Großteil der ungefähr 200 an diesem Abend Anwesenden kommt jedoch nicht zum Zuhören, sondern um Buschwoksky deutliche Abneigung zu demonstrieren. Die Bitte der Veranstalter_innen, nun bitte alle Mobilfunktelefone auszuschalten, wird das einzige bleiben, was vom Podium aus zu verstehen sein wird. Gut zu verstehen sind ab dem Auftritt des Bürgermeisters jedoch die lautstarken Parolen, die Buschkowsky Rassismus vorwerfen und ihn auffordern, „nach Hause“ zu gehen. Die massiv anwesende Polizei begnügt sich damit, die Rückgabe von Büchern zu überwachen und wahlweise etwas bedröppelt oder gezwungen furchteinflößend dreinzuschauen während sie zwischen den Regalen der Philosophieabteilung steht. Nachdem die Steh- und Rufordnung einigermaßen geklärt ist und Buschkowsky keinesfalls daran denkt, die Flucht zu ergreifen, kommt es zu unterhaltsamen Reaktionen aus dem Publikum: „Redet doch einfach mit ihm! Vielleicht lässt er sich ja von euch überzeugen!“ ruft eine besonders engagierte Verfechterin des freien Wortes für alle und lässt sich auf eine halbstündige Stakkato-Diskussion ein. Beeindruckender ist da schon der Herr, der empört aufspringt und seinen Mittelfinger mit großer Vehemenz in Richtung der Rufenden ausstreckt. Da steckt Erfahrung drin, vermutlich die eines ehemaligen Rummelboxers oder Halbstarken. Er wird von einem jüngeren Nachbarn beschwichtigt, springt aber kurz darauf schon wieder auf und wiederholt seine Performance. „Schmeißt den Pöbel raus!“ wird, ebenfalls aus seiner Umgebung, gerufen. Die meisten der anwesenden Nicht-Störer_innen jedoch starren stoisch in die Richtung Buschkowskys, der wiederum stoisch darauf wartet, dass das Protestiere endlich aufhöre. Rund um ein Transparent, das die Grenze zwischen pro und contra bildet, geht es nochmal heiß her. Der Mantra artig wiederholte Wunsch, man möge doch mit dem Bürgermeister erstmal reden, wird hart gekontert: „Mit Rassisten rede ich nicht, die kriegen auf’s Maul!“, und: „Diese scheiß SPD, wegen denen geht es uns so dreckig!“. Währenddessen beginnt Buschkowsky einfach schon mal damit, den zwei besonders begeisterten Anwesenden ihre Bücher zu signieren. Erst nach einer halben Stunde wird bekannt gegeben, dass die Veranstaltung beendet ist. Passenderweise kann der Bürgermeister den Saal durch die hinter ihm liegende Tür verlassen. Allerdings lässt sich keine Seite der polarisierten Anwesenden davon beeindrucken. Einige aus dem interessierten Publikum scheinen nicht glauben zu können, dass es nun vorbei sein soll. Ich stelle mir vor, wie die Angestellten der Bibliothek am Ende ihrer Schicht reihenweise an Schultern rütteln müssen: „Entschuldigen Sie, aber wir schließen jetzt.“ Beim raus schlendern merke ich, dass ich mein Mobilfunktelefon gar nicht ausgestellt hatte.

Nur zwei Tage später entscheidet das Berliner Oberverwaltungsgericht, Buschkowskys Amt müsse aufklären, wie das Buch „Neukölln ist überall“ entstanden sei. Er selbst solle erklären, wie viele Helfer_innen es gegeben habe. Vor allem geht es dabei um die öde Frage, wann Beteiligte privat und wann dienstlich gehandelt haben. Buschkowsky selbst sieht laut Tagesspiegel die Anfragen als Kampagne von Neidern und beschwerte sich, man wolle sein Privatleben ausforschen.

Die Anklage, der Buschkowsky im Rathaus Neukölln ausgesetzt war, ist die deutlich relevantere wie auch amüsantere. Sie wird leider viel zu selten erhoben.

 

Musik vor dem Frühling

Wie sieht es eigentlich aus, wenn Schlagzeuger_innen streiken? Wenn ein_e Schlagzeuger_in damit droht, nur noch jeden dritten Schlag zu spielen, dürfte es sich vielleicht eher um Sabotage als um das Mittel des Streiks handeln. Dies dürfte nicht nur interessant anzuschauen, sondern auch besonders herausfordernd sein. Die eigentlich interessanten Fragen bleiben leider während des „März Musik“ Festivals wie so oft unbeantwortet. Gerüchten zufolge sollen die prekär angestellten Aushilfsschlagzeuger in Streik getreten und durch Leipziger Streikbrecher_innen ersetzt worden zu sein. Ob diese überhaupt zum Einsatz kommen, ist allerdings unklar – es sind ja nur Aushilfen. „Schlagwerk“ ist jedenfalls mit „Umbrüche“, „Minidrama – Monodrama – Melodrama“ einer der Schwerpunkte des Festivals für aktuelle Musik, das sei 2002 jährlich vom Haus der Berliner Festspiele organisiert wird. Es findet nicht nicht nur im ihrem Haus, sondern auch an teilweise ausgefallenen Orten wie dem ehemaligen Stummfilmtheater „Delphi“ und dem Berghain statt. 2011 kamen bereits etwa 10 000 Besucher_innen. Es ist das Nachfolgefestival der Musik-Biennale Berlin und gilt als eines der wichtigsten Festivals für Neue Musik in Deutschland.

Interessant findet das Publikum in der Regel alles, wobei auf irgendetwas geschlagen und Klang erzeugt wird. Bemerkenswert ist, dass für die noch so „experimentell“ daherkommenden Einlagen Partituren verwendet werden. So oder so sei das Festival jenen empfohlen, die neue und ungewöhnliche Orte von Delphi bis Konzerthaus kennen lernen und dabei den bekanntesten Percussionist_innen und Ensembles zuschauen wollen. Ob nun mit oder ohne Streik.
Medienklima

Der „größte linksalternative Medienkongress“, genannt Linke Medienakademie („Lima“), lud am Sonntag zu einer Veranstaltung in der Hochschule für Technik und Wirtschaft, auf der die häufig so genannte „Krise“ der Zeitungen und des kritischen Journalismus diskutiert werden sollten. Was genau „links“ ist, wurde scheinbar im Vorfeld bereits intern debattiert. So wurde der Wochenzeitung Jungle World nach eigenen Angaben zunächst ein Kooperationsangebot gemacht und es dann ohne Angabe von Gründen wieder zurückgezogen. Offiziell wurde hingegen die Medienpartnerschaft mit der Jungen Welt beendet, weil diese sich auf der Titelseite am 13. August 2011 für den Mauerbau bedankt hatte.

Auf der Veranstaltung selbst war über derlei Diskussionen nichts zu erfahren, vielmehr schien man sich auf einen diffus angewandten Begriff „links“ zu einigen. Ulrike Maercks-Franzen von der Deutschen Journalisten Union (dju) hatte die Aufgabe, die Männerrunde zu moderieren. Der Vorsitzende der dju, Ulrich Janssen, wehrte sich zunächst dagegen, angesichts des Niedergangs von Frankfurter Rundschau und Financial Times von einer „Krise“ in der Zeitungslandschaft zu sprechen. Es gebe im ganzen Bundesgebiet viele kleine und durchaus profitable Tageszeitungen. Diese hätten zwar mit einer Abnahme der Abos und dem Ausbleiben von Kund_innen für Anzeigen zu kämpfen, insgesamt könnten sie aber durchaus überleben und „gutes Geld“ verdienen.

Jürgen Reents, Chefredakteur beim Neuen Deutschland, sprach von einer seit Jahrzehnten krisenhaften Situation in der kritischen Presselandschaft. Die spezielle Krise, die bei vielen Zeitungen durch den Einbruch des Werbemarktes entstanden sei, bliebe beim ND weitestgehend aus. In diesem Nischenbereich habe es ohnehin nie so viele Anzeigen gegeben.

Wolfgang Storz, jahrelang Chefredakteur bei der Frankfurter Rundschau, betonte, die FR habe in Frankfurt kein solides Fundament, es fehle an regionaler Verankerung. Da die FR seit jeher teilweise durch Stiftungen finanziert werde, habe man sich darum nicht gekümmert, dass sie auch profitabel sei. Er sprach von einer Arroganz gegenüber Lokaljournalismus der zentrierten Redakteur_innen und Journalist_innen. Auch Reemts zufolge kann von „Überheblichkeit“ in der Publizistik gesprochen werden. Er finde in der „bürgerlich“ genannten Presse oft besser recherchierte und faktenreichere Artikel als in der sich als links verstehenden. Glücklicherweise wurde aus dem Publikum angemerkt, dass genau das ja vielleicht auch mit fehlenden Mitteln zusammen hinge.

Allgemein wurde konstatiert, das Sterben der FR habe nichts mit einer Krise des linken Journalismus zu tun. Zu recht: Wie auch Ivo Bozic in der Jungle World erwähnt, ist diese so „links“ wie auch die Zeit, bei der es keineswegs kriselt. Auch in Anbetracht der zahlreichen Veröffentlichungen außerhalb der größeren linken Tages- und Wochenzeitungen wäre es ratsam, eine wirtschaftliche Krise bestimmter Zeitungen und eine publizistische Krise voneinander zu trennen. Vor allem wer die kaum überschaubaren sich als links verstehenden Internetperiodika in Betracht nimmt, würde sich manchmal vielleicht sogar eine publizistische Krise geradezu wünschen.

Auch wenn erwartungsgemäß alle Beteiligten die prekären Verhältnisse problematisieren, unter denen die meisten linken Medienschaffenden arbeiten, befürworteten sie einvernehmlich, dass sich Leute dafür entschieden. Ob sie knapp 20 Teilnehmer_innen der Veranstaltung mit wirklich neuen Impulsen aus dem Raum gingen, ist zu bezweifeln. Aber für neue Impulse sind Kongresse wie diese schließlich auch nur bedingt bekannt.

 

Sterne warten

Friedrich Simon Archenhold arbeitete 1893 die Pläne für ein großes Rohr aus, ein Fernrohr. Genauer gesagt ein Riesenfernrohr.

Mit diesem sollten Sterne beobachtet werden. Es wurde zur Gewerbeausstellung 1896 im Treptower Park fertig gestellt und nennt sich seitdem „der Große Refraktor“.Wer vom Begaffen von aus den deutschen Kolonien verschleppten Menschen in der „Völkerschau“ müde geworden war, konnte durch das Rohr Dinge betrachten, die noch weiter entfernt waren als der vermeintliche Ort, der auf der Grundlage dieses Begaffens imaginiert wurde.

Nach dem Ende der Gewerbeausstellung hatte Herr Archenhold kein Geld mehr, um das große Rohr wieder abzubauen und so steht es bis heute dort. 1931 übernahm der Sohn Günther Archenhold die Leitung der Sternwarte, musste allerdings 1936 aufgrund seiner jüdischen Herkunft zurücktreten. Angehörige der Familie Archenhold kamen teilweise ins Konzentrationslager, andere emigrierten. Angeblich übernahm ein astronomisch unkundiger Beamter die Leitung, nachdem die Sternwarte der Hauptschulverwaltung Berlins angegliedert wurde.

Zwar sind die Gewerbeschau wie auch der Nationalsozialismus glücklicherweise passé, aber die Sternwarte lässt sich nach wie vor betrachten. Wer will kann hier viel über die Sterne und ihre Laufbahnen lernen, sich antiquierte Ausstellungsstücke ansehen und im Zeiss-Kleinplanetarium die Sternbilder veranschaulichen lassen. Letztere wurde 1959 als das erste Zeiss-Kleinplanetarium der DDR eröffnet und zuletzt 1994 neu gestaltet. Ein Rundgang, zu dem an diesem Tag vier Leute kommen, lohnt sich allemal.