Das »G-Wort« auf der Leinwand

Drei Dokumentarfilme verhandeln Gentrifizierung und Nachbarschaftskämpfe in Berlin recht unterschiedlich

Von Claudia Krieg und Henrik Lebuhn

Exorbitante Mietsteigerungen, Immobilienkaufrausch und Zwangsräumungen sind längst nicht mehr nur ein Thema für linke Szenepublikationen, sondern schaffen es regelmäßig auch auf die Titelseiten überregionaler Tageszeitungen und in Meinungsmagazine á la Spiegel und Capital. Konnte der Gebrauch des »G-Wortes« noch vor wenigen Jahren umgehend zu Terrorismusverdacht führen, so haben sich die Zeiten schneller geändert, als man denkt: Die materielle und symbolische Aufwertung ganzer Stadtteile und die damit einhergehende Verdrängung einkommensschwacher Anwohner_innen – kurz: die rasante Gentrifizierung, die derzeit vor allem in Großstädten wie Berlin, Hamburg und München zu beobachten ist – hat sich binnen kürzester Zeit zu einem Dauerbrenner in der öffentlichen Debatte gemausert. Fast zeitgleich sind im letzten Jahr drei Dokumentarfilme entstanden, die sich am Beispiel Berlins mit den aktuellen Dynamiken auf dem Miet- und Immobilienmarkt und den politischen Widerständen dagegen auseinandersetzen: Im August 2014 strahlte die ARD ihre 90-minütige Reportage »Wem gehört die Stadt?« aus, die zwar nicht mehr in der ARD-Mediathek steht, aber noch auf Youtube zu finden ist. Nur wenige Wochen später feierte der 94-minütige Dokumentarfilm »Verdrängung hat viele Gesichter« des Berliner Filmkollektivs Schwarzer Hahn seinen Start in den Programmkinos. Bereits im April 2014 lief der 78-minütige Dokumentarfilm »Mietrebellen« von Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers an, der seitdem auf über 300 Veranstaltungen und in etlichen Kinos gezeigt wurde. Alle drei Filme werfen einen dezidiert kritischen Blick auf Gentrifizierung und Nachbarschaftskämpfe in Berlin, tun dies aber aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Die größte Überraschung unter den drei Filmen ist vermutlich die ARD-Reportage »Wem gehört die Stadt?« Wer hätte schon gedacht, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich einmal gänzlich unvoreingenommen, wenn nicht gar heimlich sympathisierend, dem zivilen Ungehorsam gegen den deutschen Rechtsstaat widmet? Aber wenn die Gerichtsvollzieherin, die die Kreuzberger Familie Gülbol auf die Straße setzen will, vom Berliner Bündnis gegen Zwangsräumungen lautstark wieder nach Hause geschickt wird, dann zeigt die ARD das tatsächlich genau so, wie es auch ist: einfach nur korrekt!

Deutsches Verkaufswetter

Dass das im Film so gut funktioniert, ist vor allem den Immobilienmakler_innen und Baufirmen zu verdanken, deren Geschichte hier ebenfalls erzählt wird. Denn ohne dass die Filmemacher_innen sich in irgendeiner Art und Weise verbiegen müssten, bestätigen diese all die schlimmen Klischees, gegen welche man sich innerlich sträubt: Da strahlt der norwegische Makler im Wintersonnenschein seinen italienischen Kund_innen ins Gesicht, deutet mit großer Geste in den blauen Himmel über den Dächern von Berlin und schwafelt vom »deutschen Verkaufswetter«. Ein Mitarbeiter der Berliner Maklerfirma Ziegert kann sich gar nicht mehr einkriegen vor Freude über den Verkaufsboom und lacht in die Kamera: »Das macht Spaß!» Mit dem Stilmittel des gängigen Fernsehformats – und daher durchaus tauglich für den medialen Massenkonsum – erzählen die Protagonist_innen in »Wem gehört die Stadt« ihre Geschichten eigentlich selbst. Am Ende ist einem speiübel: Hier läuft grad alles aus dem Ruder. Das macht den Film geradezu subversiv. Ganz anders dagegen funktioniert »Verdrängung hat viele Gesichter«. Hier geht es um ein persönliches Porträt des Berliner Karl-Kunger-Kiezes. Persönlich, weil die Filmemacher_innen als Anwohner_innen von den Veränderungen, die der Kiez in den vergangenen Jahren durchlaufen hat, selbst betroffen und als Aktivist_innen auch politisch unmittelbar involviert sind. In dem ehemals durch die Mauer geteilten Viertel, eingekeilt im »Dreiländereck« zwischen Kreuzberg, Neukölln und Treptow, haben sich hier in den vergangenen Jahren etliche Baugruppen auf den letzten Brachen breitgemacht. Sehr zum Unmut vieler Nachbar_innen. Der unausgesprochenen Kritik, dass es sich im Vergleich zu den großen Immobilienunternehmen, die den Berliner Mietmarkt aufmischen, doch eigentlich um »Peanuts« handelt, kommen die Filmemacher_innen mit dem Kommentar zuvor: Es ist egal, von wem du verdrängt wirst! Persönliche Betroffenheit Die persönliche Betroffenheit ist eine Stärke wie auch eine Schwäche des Films: Großartig ist es, wenn alte und neue Nachbar_innen, Eigentümer_innen und Mieter_innen, Bau-Pionier_innen, Prekäre und Verdrängte ausführlich erzählen, was sie umtreibt, sich rechtfertigen, anklagen, hingucken oder wegsehen. Problematisch wird es dagegen, wenn die Filmemacher_innen versuchen, kollektive Identitäten zu konstruieren und diese gegeneinander auszuspielen. So reitet die Kameracrew in einer Szene in ein kleines Werbebüro ein, das neu im Kiez ist, und stellt die drei anwesenden »Kreativarbeiter_innen« im wahrsten Sinne des Wortes zur Rede: »Dürfen WIR euch mal bei der Arbeit stören?! Es geht hier um UNSEREN Kiez, in dem IHR euch ja jetzt auch aufhaltet … WIR wissen aber gar nicht, was sich hier hinter diesem Büro verbirgt«. Linker Stadtteilaktivismus sieht anders aus.

Rebellentum lohnt sich

Der Aktivismus steht schließlich ganz im Mittelpunkt von »Mietrebellen. Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt«. Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers haben sich die Mühe gemacht, den facettenreichen Protest des Jahres 2013 umfassend zu dokumentieren: die ersten »Lärmdemos« am Kottbusser Tor, eine Konferenz zur Zukunft des sozialen Wohnungsbaus, Kundgebungen und kollektives Grillen auf der Kreuzberger Cuvry-Brache, zivilen Ungehorsam gegen Zwangsräumungen und die freche, noch dazu erfolgreiche Besetzung einer von Schließung bedrohten Seniorenbegegnungsstätte in Berlin-Pankow. Die Liste der Auseinandersetzungen, die unter dem Motto »Wir bleiben alle!« stattfinden, ließe sich beliebig verlängern. Deutlicher als in den anderen beiden Filmen wird in »Mietrebellen« auch die politische Auseinandersetzung mit dem Berliner Senat. Denn sowohl die Initiative Kotti & Co als auch die renitenten Rentner_innen suchen die Konfrontation mit den politisch Verantwortlichen in der Bezirks- und in der Landesregierung. Damit ist schließlich eine wichtige Leerstelle benannt, die allen drei Filmen – mal mehr, mal weniger stark – gemeinsam ist: Über weite Strecken bekommt man den Eindruck, der Berliner Miet- und Immobilienmarkt funktioniert praktisch ohne die Politik. Es scheint, als stünden sich Mieter_innen und Investor_innen quasi als »natürliche Feinde« unmittelbar gegenüber. Politiker_innen gehören eher zu den Randfiguren der drei Filme, zum Beispiel, wenn der ehemalige Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Bündnis 90/Die Grünen), in »Wem gehört die Stadt?« mit einem Bauunternehmer über eine Friedrichshainer Brache schlendert. Während der Politiker eher hilflos versucht, dem Geschäftsmann beim Spaziergang noch einige Zugeständnisse abzuringen, erzählt die Stimme aus dem Off, dass der Investor seine Bebauungspläne ja auch einfach gerichtlich durchsetzen könnte. Die Politik hat scheinbar nichts zu sagen und ist den mächtigen Investor_innen ausgeliefert. Aber die Realität der Berliner Stadtentwicklungspolitik sieht anders aus: Denn schon in den 1990er Jahren wurden hier die politischen Weichen für den Wandel von der Miet- zur Eigentümerstadt gestellt. Privatisierung und sozialräumliche Aufwertung ganzer Stadtviertel gehören zum politischen Programm! Was in der Gesamtschau der drei Filme dagegen sehr schön deutlich wird, ist, dass der Kampf um Wohnraum und gegen Gentrifizierung mittlerweile zu breiter Aufmerksamkeit gelangt ist. Und dass Rebellentum sich lohnt. Das zeigt vor allem auch der Film von Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers. Wenn die kleinen, subversiven Akte am Ende noch zu breiten Bündnissen führen, lassen sich schließlich sogar ganze Bau- und Investitionsprojekte kippen. Das hat zuletzt der erfolgreiche Volksentscheid zum Tempelhofer Feld gezeigt. Man kann nur hoffen, dass die Fortsetzung bald folgt.

Die Filme: »Wem gehört die Stadt? Wenn das Geld die Menschen verdrängt«. ARD-Reportage von Kristian Kähler und Andreas Wilcke, 90 Minuten, Deutschland 2014. »Verdrängung hat viele Gesichter«. Dokumentarfilm vom Filmkollektiv Schwarzer Hahn, 94 Minuten, Berlin 2014. »Mietrebellen. Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt«. Dokumentarfilm von Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers, 78 Minuten, Berlin 2014.