Notstand statt Aufstand

Während Japan zerfällt, zerfällt auch die libysche Revolution

Rettet die AKW-Katastrophe in Japan Gaddafi die Macht? Seit fünf Tagen drehen sich Debatten, in denen es das Wort Luftraum auftaucht, nicht mehr um Flugverbotszonen, sondern um atomare Wolken. Seit fünf Tagen ist die libysche Revolution fast komplett aus den Medien verschwunden und das Gezerre der europäischen Außenpolitik um mögliche Handlungsoptionen versenkt sich selbst in gekonnter Bedeutungslosigkeit, während nach außen „Diplomatie auf Hochtouren“ signalisiert wird. Die politischen Interventionen erschöpfen sich darin, Konten des Gaddafi-Clans einzufrieren und Einreiseverbote für denselben auszusprechen. Allerdings ist derzeit weder davon auszugehen, dass Gaddafi mit wehenden Fahnen aus dem Land gejagt wird, noch wird der rachsüchtige Diktator ausgerechnet an den Toren der Staaten anklopfen, die sich in den letzten Wochen schamhaft von ihm abgewandt haben. Er wird sich vielmehr generös bei seinen nicht ganz freiwilligen Unterstützern bedanken und ihnen nachträglich auf die Schultern klopfen, so wie er jetzt vorab den Deutschen schon mal eine „sehr gute“, ja „eine verantwortliche Position“ für ihre Haltung bei der Frage der Intervention bescheinigte. In fünf Tagen können – auch einseitige – politische Allianzen geschmiedet werden.

200 Kilometer haben die Rebellen in dieser Zeit verloren, 200 unschätzbar wichtige Kilometer im Rennen auf Zeit, dass sie gewinnen müssen, wenn es wirklich zu einem Sieg über die unnachgiebigste und brutalste Diktatur im nordafrikanischen Raum kommen soll. Es ist ihre Forderung und allmählich wird es zur verzweifelten Bitte, dass man sich auf dem Luftweg einmischen möge, um „ein Blutbad“ zu verhindern. Das ist naheliegend, weil es die schwächste Stelle im Kampf gegen Gaddafis Truppen ist, die derzeit nicht nur die Stellungen der Aufständischen, sondern auch die Städte, die ihnen zugeschrieben werden, massiv mit Bombenteppichen überziehen. Hier, in dieser Bitte um Hilfe beim Umsturz eines Regimes, dass sich um die Menschenrechte einen Dreck schert und das Aufbegehren seiner Bevölkerung mit brutaler Gewalt beantwortet, liegt der Unterschied zu den Debatten um Flugverbotszonen in den letzten Jahren. Sei es aufgrund parteipolitischer Programmatik oder aus analysefeindlichem Dogmatismus – damals wie heute standen und stehen sich friedensbewegte und bellizistische Lager dabei als sie es wollen und könnten doch mit ein wenig mehr Trennschärfe beweisen, was möglich ist – politisch, menschlich, demokratisch, wie man es auch nennen möchte.

Die Vereinten Nationen wollen die Flugverbotszone nach wie vor, aber nur noch Frankreich und Großbritannien unterstützen sie im Weltsicherheitsrat. Die Türkei spricht sich gleich ganz dagegen aus, die restlichen Länder zögern nach dem Vorbild Chinas und Russlands, der deutsche Außenminister will nicht „dauerhaft in einen Krieg verwickelt werden.“ Wird es am Ende wieder nur die hilflose Stimme der UN sein, kann die Angelegenheit getrost als erledigt betrachtet werden.

Fünf Tage sind seit dem verheerenden Tsunami im Pazifik vergangen. Fünf Tage, in denen sich das Blatt in Libyen bereits gewendet hat und die regierungstreuen Truppen Gebiete zurückerobert haben, die zuvor fest in der Hand der Rebellen waren. Unterstützt von schwerem Gerät der Luft- und Seewaffe werden die eingekesselten Städte im Westen attackiert – nach Brega fielen Bomben auf die Schlüsselstadt Adschdabija, die den Rebellen als entscheidende Frontlinie gilt. Mittlerweile stehen Gaddafis Truppen im Osten bereits in Suwara, im Westen liegt Misurata unter Beschuss, als nächstes Ziel muss Bengasi gehandelt werden. Wenn sich die Weltgemeinschaft bis zu einem möglichen Angriff auf kein militärisches Eingreifen einigen kann, wird der Frühling in Libyen sehr viel blutiger werden, als er es bislang schon gewesen ist.

Es ist keine Frage von medialer Leistungsfähigkeit, wenn die Aufmerksamkeit für eine Veränderung, die das politische Gewicht in Nordafrika und im Nahen Osten so entscheidend wie nie zuvor seit den kolonialen Unabhängigkeiten verändert, keine vier Wochen anhält. Es ist auch kein Moment friedensbewegten Innehaltens wie man es angesichts der Katastrophe in Japan vermuten  könnte.
Wenn Europa zulässt, dass die zögerliche, aber so notwendige Empathie für den Umbruch in Nordafrika von selbstbezüglicher Panik verdrängt wird, muss es sich bei einem Sieg Gaddafis die Frage stellen lassen, was es dazu beigetragen hat.