Amazon lebt hier nicht

Artikel in der Jungle World vom 5. Juli 2012.

1945 wurde der People’s Co-operative Bookstore als antifaschistisches Projekt in Vancouver gegründet. Heute verkauft der Buchladen Werke linker Theoretiker und Anleitungen zum urbanen Gemüseanbau.

Der Commercial Drive, eine lebendige Straße im Osten Vancouvers, gilt laut »Hipster Handbuch« als einer der wenigen Hotspots der Region. Unabhängige Kunst und Kultur, hippiesk anmutende Umweltschutzinitiativen wie auch andere Formen des Polit-Aktivismus und die zahlreichen Cafés und Imbisse sind für viele ein Grund, auf dem Drive auszugehen und im Viertel wohnen zu wollen. Grandview-Woodland ist seit den fünfziger Jahren ein Einwandererviertel und trug lange Zeit den Namen »Little Italy«. Auf dem Drive befindet sich seit 1983 der People’s Co-operative Bookstore. Das Projekt versteht sich auch als Community- und Stadtteilzentrum. Die Kooperative hat zahlende Mitglieder, halbjährliche Versammlungen und gewählte Gremien, die die Verwaltung organisieren. Eine Person ist fest angestellt und übernimmt einen Teil der Aufgaben, vieles wird ehrenamtlich von den Mitgliedern erledigt.

Rolf Maurer, Betreiber des Verlages »New Star Books«, ist seit den frühen achtziger Jahren im Co-op Bookstore aktiv. Um uns das Projekt zu erklären, holt er etwas weiter aus, während wir über den Drive schlendern. gegründet wurde die Kooperative mit ihrem ersten Sitz im Zentrum Vancouvers bereits 1945. Die Gründer waren Kommunisten, Sozialdemokraten und progressive Christen, die als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieges vor allem den »Kampf gegen den Faschismus« fortführen wollten. Während ich aus den Augenwinkeln eine kleine Verfolgungsjagd auf dem Drive beobachte, der anscheinend ein Ladendiebstahl vorausgegangen ist, bekomme ich von Rolf eine der besonders gern erzählten Anekdoten aus der Geschichte des Buchladens zu hören: Bei der Weltausstellung Expo 1986 in Vancouver wurde dem Co-op Bookstore der Pavillon der Sowjetunion zur Verfügung gestellt. Durch den Verkauf von Büchern wurden rund 90 000 Dollar eingenommen, die in den folgenden Jahren eine solide Grundlage für das Überleben der Kooperative darstellten.

Rolf, charmant im Auftreten wie auch in der Wortwahl, sitzt später umgeben von Büchern im roten Sessel der Leseecke des Ladens. Er kann sich noch an den alten Standort im Zentrum der Stadt erinnern, der damals größtenteils ein klassischer Arbeiterbezirk war: »Das Zentrum Vancouvers war damals viel kleiner und geprägt von den vielen günstigen Hotels und Zimmern, die vor allem von Menschen gemietet wurden, die als Holzfäller arbeiteten oder nach ihrer Pensionierung hierher kamen. Genau dort, mittendrin war damals der Buchladen.« Der Umzug 1983 ist eng verbunden mit der Entwicklung der Stadt: Die Mieten im Zentrum wurden schlichtweg zu teuer. Heute ist dort vom Arbeiterflair nicht viel übrig. Vergnügungszentren und Business Districts werden von einer imposanten Skyline gerahmt. Der Drive war damals günstig und das Ambiente erschien den Buchladenbetreibern passender. Es war gewissermaßen ein natural fit, meint Rolf. Dass einige heute über die Gentrifizierung des Viertels klagen, missfällt ihm: »Für mich ist das häufig eine Form der Xenophobie. Die meisten sogenannten gentry sind ohnehin Leute, die hier aufgewachsen, dann weggezogen sind und nun zurück kommen.«

In der früheren Phase des Buchladens war es vor allem das Angebot an kommunistischer Literatur, welches ihn so besonders machte. Heute unterscheidet er sich von anderen Buchläden eher dadurch, dass eine bewusste Auswahl progressiver Literatur kleinerer Verlage verkauft wird. Der Grund für die großen Händler, diese Titel nicht ins Programm aufzunehmen, ist weniger die Ablehnung der Inhalte, vielmehr sind es ökonomische Motive. »Aber nicht genug Geld damit machen zu können, das ist ja auch eine ideologische Position«, so Rolf. In Vancouver leben viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller, erzählt er, allerdings können viele ihre Bücher nicht in den unabhängigen Buchläden wiederfinden. Auch wenn die Verlage Verkaufsstrukturen wie die des Co-op Bookstore als nicht relevant ansehen, bemüht man sich, ein kleines, unabhängiges Segment des Marktes zu bedienen. Zeitgenössische, unkonventionelle Poesie und Literatur finden sich heute genauso im Laden wie sowjetische Originale. Während viele Buchläden in Vancouver schließen müssen, kann der Co-op Bookstore gerade aufgrund seiner Programmatik und der intensiven Unterstützung eines treuen Publikums überleben. Dass die Situation für viele unabhängige Buchläden derart prekär ist, möchte Rolf nicht mit den üblichen einfachen Erklärungen wie »Internet«, »Amazon« oder »große Ketten« erklären. Stattdessen meint er, dass vor allem die Abhängigkeit von Banken und Vermietern gewichtige Faktoren seien. Der Co-op Bookstore kann sich mit einem wohlwollenden Vermieter sehr glücklich schätzen, aber vielen Ladenbetreibern ergeht es anders.

Allerdings meint Rolf, der Laden habe sich zu lange durch eine identitär-ideologische Ausrichtung von der Nachbarschaft isoliert und die tatsächlichen Belange der sozialen Community außer Acht gelassen. »Meiner Meinung nach sollte ein Buchladen nicht die Aufgabe haben, den Leuten zu erzählen, welche Bücher sie lesen sollten und welche nicht. Stattdessen sollte er über die eigene Türschwelle gucken und wahrnehmen, was die Community, deren Teil er selbst ist, braucht.« In letzter Zeit wurde versucht, vermehrt Veranstaltungen durchzuführen. Auch traf man die bewusste Entscheidung, gebrauchte Bücher ins Sortiment aufzunehmen. Auf diese Weise wurde das thematische Spektrum erweitert: Unter den gebrauchten Büchern, die im Laden abgegeben wurden, waren beispielsweise viele, die sich mit Umweltschutz und Selbsthilfe beschäftigen, aber auch Kinderbücher der vielen ehemaligen Studentinnen und Studenten, die nun selbst Kinder haben. »Das hat uns die Augen geöffnet. Ich denke, wir sollten weniger arrogant, sondern etwas freizügiger sein und anerkennen, was unseren Kunden wichtig ist«, meint Rolf, während er mich durch den Laden führt. Zusammen mit James, der momentan »hauptamtlich« im Laden arbeitet, gehen wir die Liste der zuletzt verkauften Bücher durch: Urbaner Gemüseanbau, diverse Romane, Bücher über Vancouver und den Stadtteil, psychologische Selbsthilfe sowie »Anti-Selbsthilfe«. David Harvey gehört zu den zeitgenössischen marxistischen Theoretikern, die häufig nachgefragt werden. Verkauft werden aber auch Bücher, die Rolf als crap bezeichnet: »Wenn ich der Verleger dieser Bücher wäre, schliefe ich nicht mehr gut.« Alles in allem ist er durchaus optimistisch: »In zehn Jahren werden junge Menschen großartige Dinge mit Computern machen, die wir nicht einmal kategorisieren können – aber eben keine Bücher. Ich glaube, es wird noch eine ganze Weile dauern, bis diese Dinge verschwinden.«