Friede der Finca!

Reportage in der Jungle World vom 12.4.2012:

Ein Besuch in der besetzten Finca Somontes in Andalusien. Arbeitslose Landarbeiter wollen sich dort eine Perspektive für ihr Leben schaffen und gegen die geplante Privatisierung der landwirtschaftlichen Nutzflächen protestieren.

von Jette Groß und Johannes Spohr

»Nur ein Haufen Papier!« Unser Beifahrer Felipe ist sich sicher, dass ihm der Antrag auf Arbeitslosengeld nicht weiterhelfen wird. Der 30jährige gehört inzwischen zur Mehrheit der jungen Leute in Andalusien, 30 Prozent sind dort ohne Lohnarbeit sind. »Wenn ich vorher länger gearbeitet hätte oder Kinder hätte, würde ich mehr bekommen, aber so ist es vollkommen sinnlos«, sagt er, legt den Haufen Papier beiseite und greift zu einem Buch über »soziale Rebellen« in Andalusien. Javier, unser Fahrer, kommt mit einem Arm voller Weißbrote vom Bäcker zurück, setzt den Motor wieder in Gang und die Fahrt über holprige, steinige Wege fort. Wir sind auf dem Weg zur Finca Somontes in der Region Córdoba.

Die Finca wurde am 4. März besetzt. An der Aktion waren etwa 500 größtenteils erwerbslose Landarbeiterinnen und Landarbeiter beteiligt. Auf einem Hügel halten wir an und Javier zeigt uns, worum es geht: Alle von hier aus zu überblickenden landwirtschaftlichen Nutzflächen liegen brach, etwa 300 Hektar sollen es sein. Bisher befinden sie sich in öffentlicher Hand, nun will die andalusische Regierung sie verkaufen. »Für vielleicht eine Million Euro, das ist wie ein Geschenk«, meint Javier. Viele Anbauflächen in der Region befinden sich bereits in privatem Besitz. Der Großgrundbesitz wird von der EU gefördert, indem Subventionen nach Hektarzahl vergeben werden, unabhängig davon, ob auf der Fläche etwas angebaut wird. Die Besetzer der Finca sind in der andalusischen SOC (»Sindicato de los Obreros del Campo«) organisiert, der Gewerkschaft für Landwirtschaft. Sie berufen sich auf die Tradition des gewerkschaftlichen Kampfes um Land und betrachten ihre Aktion als praktische Antwort auf die aktuelle »spanische Krise«. »Wir wollen zumindest essen können und von unserer Arbeit leben«, sagt Javier. Am Eingangstor zur Finca sind zwei grüne andalusische Fahnen angebracht. Das nationale Logo in der Mitte ist durch das der SOC ersetzt. Javier parkt den Wagen auf dem Hof, bevor er uns herumführt. »Das Land denen, die es bearbeiten!« steht in grüner Schrift an einer Wand geschrieben.

Nahe der Finca haben die Besetzerinnen und Besetzer angefangen, ein Feld zu bewirtschaften. In jeweils zwei oder drei Reihen bauen sie Kartoffeln, Salat, Zwiebeln, Paprika und Melonensprösslinge an. Alles noch im »Experimentierstadium«. Wenn man langfristig bleiben kann, soll der Anbau erweitert werden. Was nicht für den Eigenbedarf gebraucht wird, soll verschenkt oder gegen Baumaterialien und Geräte getauscht werden. Gerade sind die neuen Finca-Bewohner dabei, die Bewässerungsanlage aufzubauen. Wir treten an eine kleine Hütte aus Holz und Stroh heran, die für die Lagerung der Geräte gedacht ist. »Die ist noch nicht fertig, die wird noch besser«, ruft uns ein Mann zu, als wir sie fotografieren wollen. Bis jetzt stehen nur ein paar Eimer darin.

Seit Anfang März leben 30 Personen, darunter Familien, auf der Finca. Die Altersspanne reicht von unter 20 bis über 40. Die Matratzen, die nachts in den Räumen verteilt werden, sind ordentlich in einem kleinen Raum gegen die Wände gelehnt. Überhaupt ist die Besetzung gut organisiert. Es gibt getrennte Bäder und einen vollen Kühlschrank. Täglich findet noch vor dem Frühstück die Asamblea, die Versammlung, statt, auf der die anstehenden Aufgaben verteilt werden: Korrespondenz, Einkauf, Bauen, Kochen. Ausgerechnet in der Küche scheinen sich aber vorwiegend Frauen aufzuhalten.

Gegen zwei Uhr füllen sich der Hof mit Autos und das Wohnzimmer mit Menschen. Auch die größtenteils erwachsenen Kinder der Besetzer finden sich zum gemeinsamen Mittagessen ein. Isolda kommt mit einer kleinen, am ganzen Körper zitternden Ziege auf dem Arm herein. Sie ist ein Geschenk von einem Freund aus dem Dorf, der den Besetzern schon ein Pferd und vier Hühner gegeben hat. Es wird lautstark darüber gestritten, ob sie Kuhmilch oder Wasser bekommen soll. Am besten täte ihr wahrscheinlich ein bisschen Ruhe. Eine junge Frau macht den Fernseher an und die Ziege ist schnell wieder vergessen. Stühle werden verschoben, um besser sehen zu können. In einer Talkshow sitzt eine Bekannte aus dem Dorf, mit dunklen Augenringen und einen verzweifelten Gesichtsausdruck.

Zu den Zielen der Besetzung befragt, meint Javier, es gehe den Beteiligten nicht um ein »bürgerliches Leben«, nicht darum, 1 500 Euro im Monat zu verdienen. Stattdessen wollen sie hier von dem leben, was das Land hergibt, das sie ökologisch, ohne Pestizide und auf traditionelle Weise bewirtschaften wollen. Die Agrarkultur hat sich in dieser Region in den vergangenen 40 Jahren deutlich verändert. Familienbetriebe gibt es kaum noch. Große Supermarktketten wie Carrefour und Mercadona haben den Großteil des Marktes übernommen und erwerben Gemüse über den Großhandel zu Spottpreisen. Daher wird die SOC sich während des kommenden Generalstreiks auch hauptsächlich mit der Kritik an der Unternehmenspolitik dieser großen Ketten beschäftigen. »Mit denen kann man ohnehin nicht konkurrieren«, sagt Felipe mit Bestimmtheit und erinnert uns an das auf dem Weg gekaufte Brot des befreundeten Bäckers: »Carrefour kann das für ein Drittel des Preises anbieten.« Er fügt hinzu, dass die Ketten sich nicht am Streik beteiligten. Die SOC wird hingegen Streikposten stellen und dazu aufrufen, die Konzerne zu boykottieren. Auch weil die angebotenen Lebensmittel miserabel und immer mehr Leute aus ökonomischen Gründen dazu gezwungen seien, diese zu konsumieren.

Ein ständiger Besucher der Finca steht am Rand des Feldes. Wir fragen ihn, wie lange die Besetzung seiner Ansicht nach aufrechterhalten werden könne. »Für immer, hoffe ich«, sagt er und nimmt grinsend einen Schluck Bier. Die Besetzer sind Tagelöhner, jornaleros, keine professionellen Landwirte. Ihre Arbeit ist in der spanischen Gesellschaft die am schlechtesten angesehene. Man werde behandelt »wie ein armer Teufel, der keine Qualifikation hat«, klagt Javier. Aber in Wirklichkeit müsse man für die Arbeit auf dem Feld eine ganze Menge wissen, den Anbau verstehen und sich mit der Zeit eine gewisse Professionalität aneignen. »Mir gefällt die Arbeit auf dem Land, ich will überhaupt nichts anderes machen«, sagt Maria, die weder studiert noch jemals in ­einer Fabrik gearbeitet hat.

Besonders hart von der Krise der andalusischen Arbeitswelt betroffen sind migrantische jornaleros. Darauf angesprochen erklärt uns Javier, dass in der Region besonders viele Menschen aus Rumänien arbeiten. Sie werden in der Regel, wenn überhaupt, schlecht bezahlt und bekommen im Extremfall nur ein Fünfzehntel des Lohns von Menschen mit spanischem Pass. Zudem drücken sich die Arbeitgeber um die Zahlung von Sozial­abgaben und Versicherungsbeiträgen. Viele verstehen die spanische Sprache nicht und sind nicht ausreichend organisiert, um ihre Rechte erkämpfen zu können. Die Behörden wissen um die Zustände, greifen aber nicht ein.

Auch unter den jornaleros gibt es einige, die die Migranten für ihre Probleme verantwortlich machen, weil diese von den Unternehmern aus Kostengründen bevorzugt eingestellt werden. Javier sieht in diesem Vorgehen aber lediglich eine Möglichkeit, die Menschen leichter auszubeuten und noch weniger zu bezahlen. Für ihn ist ein rumänischer Arbeiter ganz einfach »ein Genosse mehr« und es gelte, einen gemeinsamen Kampf gegen die »wahren Feinde, die Politiker und Unternehmer« zu führen. In der Vergangenheit gab es einen gemeinsamen Streik von spanischen und rumä­nischen Arbeitern. Als Javier einmal davon erfuhr, dass ein rumänischer Kollege für die gleiche Arbeit wesentlich weniger Lohn als er erhielt, teilte er einfach seinen Lohn mit ihm. Daraufhin wurde dieser sofort auf eine andere Finca versetzt. Die Migrantinnen und Migranten haben in Spanien lange Zeit Arbeiten übernommen, die sonst niemand wollte. Seit der »spanischen Krise« werden sie immer mehr vom Arbeitsmarkt und aus dem Land gedrängt.

Javier ist sich sicher, dass die Regierung verhindern will, dass sich Menschen selbst versorgen: »Sie möchten die Leute stattdessen unten halten.« Umso größer ist die Solidarität unter den jornaleros mit den Besetzerinnen und Besetzern der Finca. Es existieren bereits Solidaritätskomitees in Granada, Almería, Córdoba und weiteren Städten. Auch die internationale Landarbeiterbewegung »La Via Campesina«, örtliche Ernährungsorganisationen, bäuerliche Organisationen und Lokale haben sich solidarisch erklärt – überraschenderweise sogar ein lokaler Grundbesitzer.

Die Besetzung soll auch zu weiteren Aktionen anregen. Das letzte Mal hat es nach dem Tod Francos in den siebziger Jahren eine größere Welle von Landbesetzungen gegeben, die unter anderem zur Gründung des Instituts für die Agrarreform führte. Von den großen Parteien erwarten Javier und seine Genossen ohnehin nicht viel, wenn es um die Rechte der jornaleros geht. Der konservative Partido Popular hat bei den Regionalwahlen am 25. März in Andalusien zwar die meisten Stimmen erhalten, wird aber vermutlich nicht an der künftigen Regierung beteiligt sein. Die wahrscheinlich auch künftig regierende sozialistische Partei, PSOE, die Javier zufolge »niemals auf der Seite der lohnabhängigen Bevölkerung stand«, gab sich vor den Wahlen kompromissbereit. So war auch der Umgang mit der Finca-Besetzung bisher sehr zurückhaltend, auf ­Dialog bedacht: »Man sprach mit uns und verhandelte, weil man sich in der Öffentlichkeit vor den Wahlen positiv inszenieren wollte.« Ein Jahr zuvor wäre dies wohl kaum denkbar gewesen.

Ein junger Mann mit goldenen Pistolenohrringen und blau tätowierten Händen reitet mit dem Pferd eine Runde auf dem Hof und den Feldern. Ein kleiner Hund trottet ihnen hinterher. Dem Pferd soll auf der Finca eine besondere Rolle zukommen. Die Tradition, Tiere in der Landwirtschaft einzusetzen, ist in Spanien beinahe verschwunden. Bis es zum ersten Mal bei der Arbeit eingesetzt wird, dauert es allerdings noch eine Weile.

Zwei junge Frauen haben währenddessen das Auto bis vor die Terrasse gefahren, um sich eine CD anzuhören. In kugeliger Handschrift steht der Text eines Arbeiterliedes auf ihren Zetteln, das sie abwechselnd pathetisch und kichernd mitsingen: »Wenn uns die Reichen das Land nicht geben, dann nehmen wir es uns!« Maria, die auf einem Sessel im Wohnzimmer sitzt, stöhnt: »Immer dasselbe Lied. Ich hab ja nichts gegen ein bisschen Musik, aber nicht immer wieder dasselbe Lied!« Niemand weiß, wie lange die Besetzung aufrechterhalten werden kann. Jeden Tag fahren Streifenwagen auf den angrenzenden Feldwegen entlang. Bis zur Finca kommen sie allerdings nicht. Bis es so weit ist, planen die jornaleros auf Somontes aber weiter. Für sie gäbe es sowieso keine andere Zukunftsperspektive in Andalusien.

Für den Weg gibt es ein Bocadillo, das dick mit Salami belegt ist, und eine Dose alkoholfreies Bier. Dann muss es schnell gehen. Marias Sohn hat bald Schulschluss. Mit zehn Stundenkilometern fährt ihre Tochter den steinigen Feldweg zurück zur Landstraße. »Pass auf!« sagt sie zu Maria. In der nächstgelegenen Stadt Palma del Río angekommen, steigt Carlos aus, um noch schnell ein Schweinchen abzuholen. Als er aus dem Stall zurückkommt, hält er ein quietschendes Etwas in der Hand und stopft es in einen Sack. Bevor er wieder aussteigt, um in der Stadt etwas zu erledigen, schnürt er ihn zu, damit das Ferkel nicht herausklettern kann. Als Marias Sohn einsteigen will, wird er auf das Tier im Fußraum hingewiesen. Mit aufgerissenen Augen fragt er: »Ein totes?« – »Nein, nein, keine Sorge!«