Das Regime ist immer schon da

Das weltweite Wissen gibt dem Begriff Regime am liebsten Gesichter: Mohammar al-Gaddafi, Baschar al-Assad, Hu Jintao. Auch historische Verwendungen sind gebräuchlich, im Fall des französischen Vichy-Regimes beispielsweise, Kollaborationspartner der deutschen Nationalsozialist*innen während des Zweiten Weltkriegs. Der Umstand, dass der Regime-Begriff aber weit über so einfache wie gegensätzliche Beschreibungsvarianten von Opfer-Täter-Verhältnissen hinausreicht, hat, laut den Autor*innen von Regime. Wie Dominanz organisiert und Ausdruck formalisiert wird., bislang weniger Resonanz gefunden. Das habe, wird angenommen, möglicherweise mit der Unbeliebtheit von komplexen macht- und herrschaftskritischen Analysen zu tun. So vermeide beispielsweise der Wunsch, das „System“ abschaffen zu wollen, mitunter die Anerkennung der Verstricktheit und Interaktion von politischen Praxen und vereindeutige sie lieber als klar abgrenzbare Oppositionen. Was aber wäre demgegenüber mit einer Analyse, die Macht und Herrschaft als nicht mehr eindeutig versteht, politisch und diskursiv gewonnen? Regime-Begriffe erklären sanft erscheinende Machttransformationen – anhand von Ästhetik und Bild, Wissen und Kultur, Sprache und Rhetorik, Beschreibung und Repräsentation. An dessen Ende erscheint Macht als nicht mehr wahrnehmbar und als selbstverständlich. Fördern Regime-Begriffe dann nicht beispielsweise eine regime-inhärente Unsicherheitsproduktion? Wo können sich Widerstand und Protest entwickeln, wenn Funktionsweise und Machtordnung des Regimes sich nicht attackieren lassen, weil sie in Subjekten wie in sozialen Beziehungen selbst Fuss gefasst haben? Fragen, die Text und Bild von Regime. Wie Dominanz organisiert und Ausdruck formalisiert wird durchweg begleiten.

Der entgegen der neugierigen Erwartung eher handliche Band ist in der Edition Assemblage erschienen und ein Ergebnis der Redaktion von Beiträgen und Diskussionen zum Symposium mit dem selben Titel, das im Mai 2010 an der Akademie der bildenden Künste in Wien stattgefunden hat. Seine „amorphe, das Versuchsartige betonende Struktur“ bringt den deutlichen Vorteil von kurzen beispiel-, ausdrucks- und praxisorientierten Texten zum Ausdruck. Auf den zahlreich bebilderten, übersichtlichen 126 Seiten werden unterschiedliche Regime-Begriffe im Zusammenhang mit ihrem Entstehungskontext, in ihren Konflikten und mit ihren aktivistischen Bezügen erläutert.

Vom ökonomischen Regime der politischen Regulationstheorie, dem Geschlechterregime und dem Normalitätsregime, über die Blick- und Repräsentationsregime der cultural und postcolonial studies hin zum Migrationsregime mit sich ständig erneuernden Grenzen und Kontrollen, entlang derer sich ein besonders hohes Maß an Aktivität entwickelt – die mehrstimmige Autor*innenschaft kommt, wenn auch nicht ohne Selbstkritik, zum eindeutigen Schluss, dass sich der Streifzug durch das diskursive Unterholz der dichtgewachsenen Regime-Forstungen lohnt. Und da zwar nicht am Anfang, aber am Ende das Primat von politischer Auseinandersetzung und Handlungsfähigkeit steht, empfiehlt es sich unbedingt, an diesem teilzunehmen.

Regime. Wie Dominanz organisiert und Ausdruck formalisiert wird., Petja Dimitrova, Eva Egermann, Tom Holert, Jens Kastner, Johanna Schaffner, Edition Assemblage 2012, 128 Seiten, 16.80 Euro

geschrieben für drift