geschrieben für Analyse & Kritik Nr. 586
Das Buch »Rechtspopulismus kann tödlich sein!« entlarvt die rechten Schulterschlüsse im häufig romantisierten Norden Europas. Skandinavien steht in der Regel für endlose Wälder, Seen und Holzhäuser, für Urlaube und für wunderschöne Märchen und Geschichten. Der so „ursprüngliche“ Norden Europas übt darüberhinaus auch mit seinem Bild von Gesellschaften ohne tiefsitzende soziale und ökonomische Probleme beständig Anziehungskraft aus, stellen die HerausgeberInnen des kleinen, gerade erschienenen Buches „Rechtspopulismus kann tödlich sein!“ fest: „Die skandinavischen Länder haben noch immer eine geradezu mythische Vorbildfunktion inne, als funktionierende Wohlfahrtsstaaten mit geringer Arbeitslosigkeit, einem hervorragenden Gesundheitssystem und starken Gewerkschaften, auch die Toleranz der einheimischen Bevölkerung ist weltweit bekannt – und ist auch Teil des skandinavischen Selbstbildes.“
Ausgerechnet dieses Selbstbild, attestieren Cordelia Heß und Tobias Alm, sei es aber auch, welches dem Phänomen eines neuen skandinavischen Rechtspopulismus den nötigen Rückhalt geboten hat, um sich in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten in Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland ausbreiten zu können – vielleicht weniger erdrutschartig als man denkt, dafür sehr massiv. Im Schatten der Toleranz blühen als „Meinungsfreiheit“ etikettierter Rassismus und Antisemitismus der Dänischen Volkspartei, der Schwedendemokraten, der Wahren Finnen und der norwegischen Fortschrittspartei – und erreichen damit Stimmanteile, die mitunter die 20-Prozent-Marke überschreiten. Mittlerweile sind sie fester Bestandteil der politischen Landschaft.
Woher kommen diese ideologisch und rhetorisch geschult auftretenden Gruppierungen und Parteien, die großen Anteil an restriktiven Einwanderungspolitiken, homophoben und antifeministischen Debatten und Aktivitäten und der Verfolgung einer angeblichen „political correctness“ haben, mit der sie vor allem ihren politischen Gegnerschaften unterstellen, die Meinungsfreiheit untergraben zu wollen?
Gemeinsam mit den AutorInnen Jaako Koskinen, Farhija Khalid und Andreas Rasmussen gehen die HerausgeberInnen, die beide ausgewiesene KennerInnen der extremen Rechten sind, dieser Frage aus historischer Perspektive und entlang gesellschaftlicher Debatten in den jeweiligen Ländern nach. So hat sich beispielsweise die Volkspartei in Dänemark den Umstand zu nutze gemacht, dass seit den 1980er Jahren ökonomische Fragestellungen wie Wirtschafts- und Steuerpolitik eher soziokulturellen Debatten um Kriminalität, Gewalt und eben auch Migration gewichen sind. Über die Jahre ist es ihr gelungen, ihre ideologischen Argumente in der öffentlichen Diskussion zu etablieren. Unterstützung für und Bündnisse mit offen neofaschistisch agierenden Gruppen scheut sie nicht. Die Schwäche der parlamentarischen Linken in Dänemark hat dem bislang keinen wesentlichen Widerstand entgegengesetzt. Hinzu kommt, dass hier, wie auch in den anderen skandinavischen Ländern, antifaschistische Bewegungen weniger geschichtsbewusst konzipiert sind, als man erwarten könnte – die Shoah spiele, so Alm und Heß, in der politischen Arbeit von Antifagruppen in der Regel keine Rolle. Vielmehr mangele es an einer relevanten Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte der jeweiligen Länder – die Lücke im historischen Wissen und Bewusstsein erlaube über die positive Selbstidentifikation als „Widerstandsvölker“ einen starken Bezug zur eigenen Nation und überlasse dem Rechtspopulismus damit weitgehend das Feld.
Interessant ist die vergleichende Analyse am Ende des Buches, mit der die Entwicklungen in Skandinavien mit denen in Deutschland ins Verhältnis gesetzt werden. Denn tatsächlich, trotz alltagsrassistischem Normalzustand und dem Erfolg von Sarrazins Theorie-Schöpfungen, hat es keine explizit rechtspopulistische Gruppierung in den vergangenen Jahren geschafft, auf der politischen Bühne in der Bundesrepublik Fuß zu fassen. Die Gründe, so Alm und Heß, liegen unter anderem in der Elite-Fokussierung deutscher rechtspopulistischer ProtagonistInnen. Der „Rückhalt des Volkes“ geht ihnen damit verloren. Auf diesen wiederum können die skandinavischen PropagandistInnen bauen.
Zu wenig, befinden die HerausgeberInnen, sei bislang sowohl über die Vehemenz des skandinavischen Rechtspopulismus bekannt als auch über die Brutalität und die Aktivitäten der skandinavischen Neonaziszenen, die mit ihnen wirksame Allianzen eingehen. Kraft dieser Motivation verfolgt das Buch den Rechtsruck in Skandinavien präzise in dichten Beschreibungen und entlarvt zum ersten Mal für deutschsprachige LeserInnen die rechten Schulterschlüsse im häufig romantisierten Norden Europas. Diesen wichtigen Beitrag schmälert keineswegs, dass sich die Übersetzungen manchmal etwas holprig lesen. Vielmehr wird damit deutlich, dass hier eine antifaschistische Kooperationsarbeit vorliegt, die auf die sprachliche Einebnung landesspezifischer Unterschiede verzichten kann.
Claudia Krieg lebt in Berlin und schrieb in ak 583 über das Buch »Diese außerordentliche deutsche Bestialität«.
Alle Texte aus dem Buch »Rechtspopulismus kann tödlich sein!« sind auf dänisch auf der Seite www.projektantifa.dk verfügbar.
Tobias Alm und Cordelia Heß (Hg.): Rechtspopulismus kann tödlich sein! Entwicklung und Folgen des Rechtsrucks in Skandinavien. edition assemblage, Münster 2013, 120 Seiten, 9,80 EUR.
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