Artikel in der Jungle World vom 6.2.2014:
In Indien gibt es viele Gruppen, die mit unterschiedlichen Ansätzen Sexismus, Diskriminierung Gewalt gegen Frauen thematisieren. Manche gehen mit Bambusstöcken gegen die Täter vor.
von Johannes Spohr
Als Hohn, empörend und eine »Bankrotterklärung für die Regierung, die nicht begriffen hat, wie Frauen zu schützen sind«, bezeichnete im Januar die Autorin Binalakshmi Nepram eine aufsehenerregende Initiative der indischen Regierung. Diese ließ in der staatlichen Waffenfabrik einen Revolver speziell für Frauen entwickeln, der laut Verteidigungsministerium »einfach in der Anwendung« sei und für den es keinerlei Schießausbildung bedürfe. Mit der im kastanienbraunen Schmuckkoffer verkauften Kleinkaliberwaffe lasse sich auf Vergewaltiger schießen. Empörung löste auch deren Name Nirbheek aus. Dies bedeutet auf Hindi »furchtlos« und bezieht sich auf die 23jährige Studentin Jyoti Singh Pandey, die im Dezember 2012 brutal vergewaltigt worden war und später infolge der ihr zugefügten Verletzungen starb. Indische Medien hatten sie damals »Nirbhaya« (»die Furchtlose«) genannt. »Der Name eines Revolvers ist eine schreckliche Beleidigung der Erinnerung an Nirbhaya«, empört sich Binalakshmi Nepram. Die Erfahrung zeige, dass die Wahrscheinlichkeit zwölf Mal größer sei, erschossen zu werden, wenn man bei einem Überfall eine Waffe trage.
»One Billion Rising«. Wie im vergangenen Jahr in Hyderabad soll auch in diesem Jahr zum Aktionstag am 14. Februar in Indien wieder gegen Gewalt gegen Frauen demonstriert werden (Foto: PA / AP / Mahesh Kumar A.)
Feministische Organisationen haben ihre eigenen Antworten auf die Gewalt gegen Frauen gefunden und geben sich mit Empörung allein nicht zufrieden. Ihre Themen sind ebenso vielfältig wie die jeweilige Situation der Frauen. In Anbetracht der je nach Region, Klasse und Kaste unterschiedlichen Schwerpunkte kann man von »dem« Feminismus oder »der« Frauenbewegung in Indien nicht sprechen. Allein in den vergangenen Monaten gab es diverse Ereignisse, die jeweils starken Protest hervorgerufen haben.
Mitte Januar initiierte Justizminister Somnath Bharti in einem Vorort von Delhi eine Aktion gegen einige afrikanische Frauen, denen vorgeworfen wurde, einen »Sex- und Drogenring« zu unterhalten. Er erschien nachts in Begleitung von Journalisten und Polizisten sowie einer Gruppe von Unterstützern und teilte den Medien mit, er habe viele Klagen von Frauen aus der Gegend über Ausländer erhalten. Nigerianische Frauen und Männer seien mit Prostitution und Drogenhandel verbunden, behauptete er weiter, und somit eine Gefahr für die lokale Bevölkerung. Im Anschluss kam es zu Übergriffen seitens einiger seiner Unterstützer auf anwesende Frauen. Die Polizei weigerte sich jedoch, einzugreifen.
Women Against Sexual Violence and State Repression (WSS), eine unabhängige Basisorganisation, protestierte gegen diesen aktionistischen Rassismus und forderte den sofortigen Rücktritt Bhartis. In einer Erklärung machte sie darauf aufmerksam, dass mit unterschiedlichen Maßstäben auf gleichermaßen verachtenswerte Vorfälle reagiert werde. Die Gruppenvergewaltigung einer dänischen Touristin Mitte Januar sei auch von der regierenden Aam Aadmi Party (AAP) zu Recht angeprangert worden. Wenn ein dieser Partei angehörender Minister jedoch zu derlei Gewalt aufhetze, sorge dies für keinerlei Empörung.
Bereits seit Jahren ist der Homosexualität kriminalisierende Paragraph 377 des Strafgesetzbuches Gegenstand von Auseinandersetzungen in Indien. Er sieht für »Geschlechtsverkehr gegen die natürlich Ordnung« zehn Jahre Gefängnis und ein Bußgeld vor. Zuletzt hatte Ende Januar das Oberste Gericht Indiens einen Antrag der Zentralregierung und der NGO Naz Foundation (India) Trust auf die Abschaffung des von der britischen Kolonialmacht eingeführten Paragraphen abgelehnt. Bei der LGBTQ-Community und Menschenrechtsorganisationen regte sich Protest. In einer Pressemitteilung heißt es: »Unabhängig von der Entscheidung des Gerichts halten wir durch unseren Aktivismus das Recht aufrecht, ohne Angst und Diskriminierung zu leben, und zwar mit Stolz zu leben.«
Mit besonderen Problemen konfrontiert sind Frauen in abgelegenen Regionen, in denen der Zugang zu Rechten und Ressourcen unter anderem durch die Präsenz der Armee erschwert wird, die weitgehend straffrei Gewalt ausüben kann. Im nordöstlichen Bundesstaat Manipur, wo dem Militär durch Sonderrechte ein rigides Vorgehen gegen die Bevölkerung erlaubt ist, kam es 2004 zu einer öffentlichkeitswirksamen Aktion von zwölf Frauen: Diese stürmten nackt das lokale Hauptquartier der Armee und hielten dabei ein Banner mit der Aufschrift: »Indische Armee, vergewaltige uns!« Es handelte sich um eine Reaktion auf den Mord an Thangjam Manorama, einer 32jährigen Frau aus Manipu, der Kontakte zu rebellischen Gruppen vorgeworfen worden waren. Gegen die Befugnisse des Militärs befindet sich seit inzwischen 13 Jahren die Aktivistin Irom Sharmila im Hungerstreik. Sie wird weitestgehend von der Öffentlichkeit isoliert und immer wieder durch eine Magensonde zwangsernährt. Für vielen Aktivistinnen und Aktivisten ist sie zum Symbol eines konsequenten antimilitaristischen Kampfes geworden.
Die weltweit bekannt gewordene Gruppenvergewaltigung im Dezember 2012 in Delhi hat in Indien eine breite, schwer überschaubare öffentliche Debatte über alltägliche Gewalt gegen Frauen und deren Konsequenzen ausgelöst. Obwohl das Vertrauen feministischer Gruppen in die Polizei gering ist (Jungle World 3/2013), ermutigen sie Frauen trotzdem, Fälle von sexualisierter Gewalt zur Anzeige zu bringen. Auch über die Todesstrafe wird kontrovers diskutiert. Die vier Mörder von Jyoti Singh Pandey wurden im September vergangenen Jahres zur Todesstrafe verurteilt. Die Mutter des Opfers begrüßte dies, viele feministische Organisationen stehen der Todesstrafe jedoch ablehnend gegenüber. So etwa die 1 000 Gruppen und Einzelpersonen, die Anfang 2013 eine Stellungnahme unterzeichneten.
Einen eigenen Umgang mit der allgegenwärtigen Gewalt gegen Frauen hat die »Gulabi Gang« gefunden. Die Begründerin der Bewegung, Sampat Pal Devi, beschreibt es folgendermaßen: »Wir sind keine Gang im herkömmlichen Sinne, wir sind eine Gang für die Gerechtigkeit.« Die »Gangsterinnen« treten in pinken Saris und mit Bambusstöcken gegenüber den Männern auf, die Gewalt ausüben. Gegen besonders renitente Männer werden die Stöcke auch zum Einsatz gebracht, zunächst gibt es jedoch Verwarnungen und Gespräche. Wichtig ist ihnen, das Schweigen über die häusliche Gewalt zu beenden, die Täter öffentlich anzuprangern und zu beschämen. Diskutiert wird auch die Maßnahme, die Täter kenntlich zu machen, etwa durch Tattoos im Gesicht. Darüber hinaus kümmern sich die Gangmitglieder beispielsweise um die Versorgung der betroffenen Frauen. Die 2006 in der Region Bundelkhand gegründete Bewegung fand in den vergangenen Monaten regen Zulauf. Derzeit gehören Zehntausende Frauen wie auch einige männliche Unterstützer der Bewegung an. Dieses Jahr wird bereits der dritte Film über die »Gulabi Gang« erscheinen. Dass es sich um eine Bollywood-Version der Geschichte handelt, ist deshalb bemerkenswert, weil Frauen im Hindi Cinema selten als kollektive Kämpferinnen erscheinen.
Fast täglich kommt es derzeit zu feministischen Aktionen in verschiedenen Teilen des Landes und auch in der näheren Zukunft steht einiges an: Im Februar findet auf Einladung der Indian Association for Women’s Studies zum 14. Mal die Konferenz für Frauenstudien in Guwahati im Bundesstaat Assam statt. Auch werden in Indien wie weltweit zum zweiten Mal Frauen unter dem Motto »One Billion Rising« auf die Straße gehen und das Ende der Zustände fordern, die die Gewalt gegen Frauen als normal erscheinen lassen.