Von einer „juristischen Barbarei“ sprach der Sohn Roque Daltons, nachdem ein salvadorianisches Gericht 2012 beschloss, dass der Mord an seinem Vater straflos bleiben soll. Einige Aufnahmen der Pressekonferenz des teils international wahrnehmbaren Prozesses sind nun auch in einem Film zu sehen, der den Poet und Revolutionär Roque Dalton porträtiert. Während sich das europäische linke Interesse an lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen seit Jahren im Rücklauf befindet, knüpft die in Österreich lebende Filmemacherin Tina Leisch an eine Geschichte an, die auch mit ihrer eigenen verbunden ist: In den 1980er Jahren lebte sie selbst in El Salvador, in Wien war sie anschließend an der Solidaritätsarbeit für die linke Guerilla beteiligt.
Roque Dalton war Guerillero im Revolutionären Volksheer (ERP), einer Organisation, die sich später mit anderen bewaffneten Gruppen zur salvadorianischen Guerilla FMLN zusammenschloss.
Der charismatische Dalton galt als undogmatischer und unangepasster Aktivist, was mit den militärischen und auf Gehorsam basierenden Organisationsstrukturen, in denen er sich bewegte, schwer zu vereinbaren war. Es brachte ihm schließlich den bis heute nicht vollständig aufgeklärten Tod ein. Man hatte ihm vorgeworfen, Agent des US-Geheimdienstes CIA zu sein und für den kubanischen Geheimdienst zu arbeiten. Bereits zehn Jahre zuvor war Dalton der Exekution durch den Staat entkommen, da er nach einem Erdbeben aus dem Gefängnis nach Kuba fliehen konnte. Dass es schließlich nicht der „Feind“, sondern eigene Genossen waren, die seinen Tod zu verantworten hatten, macht seine Geschichte auch zum Teil linken Scheiterns.
Berühmt machen den „Pionier der Verwendung schmutziger Worte in der Literatur“ bis heute vor allem seine Gedichte. Seine oft als „schmutzig“ bezeichnete Sprache, obszön und direkt, trifft bis heute bei vielen auf einen Nerv, gleichwohl die Revolutionsromantik vielen Jüngeren schwer zugänglich sein dürfte.
Die Spuren Daltons brachten das Filmteam nicht nur nach El Salvador, sondern auch nach Kuba, Tschechien, und wiederum nach Wien. Vor allem durch in den Szenen aufgestellte Pappfiguren wird seiner Figur zur Präsenz verholfen, sie inszeniert und zum reden gebracht. Verschiedene seiner ehemaligen Gefährt_innen, Freunde und Verwandte, unter ihnen Eduardo Galeano (u.a. Autor von Die offenen Adern Lateinamerikas) skizzieren durch ihre Erinnerungen und Einordnungen ein vieldimensionales Bild des Revolutionärs. Auch das Vortragen seiner Gedichte, teils durch Bekannte Daltons, ist ein gelungenes Mittel, ihn in die Gegenwart zu holen. Besonders eindrucksvoll ist eine sichtbar bewegte Imbissbudenverkäuferin auf dem Wiener Prater, für die ein Gedicht Daltons über das Leben der Subalternen und der Migrant_innen, zu denen auch sie zählt. Besser hätte die Aktualität des Werks kaum fassbar gemacht werden können. Gelungen wirken auch die Gruppenkonstellationen, in denen facettenreiche und aufschlussreiche Gespräche über Dalton entstehen. Auf diese Weise schafft es der Film auch, ohne jegliches voice over auszukommen. Die weniger gelungenen nachgespielten Szenen nehmen glücklicherweise wenig Raum ein.
Über die porträtierte Figur gelangt man zu ansatzweisen Einblicken in den Kontext seines Wirkens und die Situation im El Salvador der 1960er und 1970er Jahre. Auch wird deutlich, wie präsent die Gedichte Roque Daltons auch in der heutigen salvadorianischen Gesellschaft sind. Vermissen lässt der Film jedoch der Bogen zur heutigen politischen Situation. Es bleibt unklar, wie die Person Roque Dalton und seine Aktivitäten aus heutiger Perspektive beurteilt werden und was die Sichtbarmachung einer revolutionären Figur in einem Land bedeutet, in dem bis heute die Straflosigkeit der unter der Militärregierung verübten Verbrechen herrscht. Dass die FMLN-Partei, die ihre Wurzeln in der gleichnamigen früheren Guerilla hat, seit 2009 Regierungspartei ist, lässt unweigerlich Fragen bezüglich der Aktualität des Filmmaterials aufkommen. Dies lenkt jedoch kaum davon ab, dass hier eine gelungene Art gefunden wurde, eine vielschichtige und einflussreiche Persönlichkeit zu porträtieren.
„Roque Dalton. Erschießen wir die Nacht!“
Berlin-Premiere am 20.5.2014 im Kino Arsenal.
Im Anschluss Diskussion mit Tina Leisch, Moderation: Peter B. Schumann
Eine Kooperation von Arsenal – Institut für Film und Videokunst
und Freunde des Iberoamerikanischen Instituts e.V.