Kunst als Überlebensmittel

Eine Monografie versammelt das Bildarchiv der Wiener Künstlerin und NS-Überlebenden Ceija Stojka

Rezension in ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 597 / 16.9.2014 von Claudia Krieg

Geboren am 23. März 1933 im österreichischen Kraubath, gehörte Ceija Stojka den Lovara-Roma an und überlebte als Kind drei nationalsozialistische Lager: Auschwitz, Ravensbrück und Bergen-Belsen. Nach ihrer Rückkehr lebte und arbeitete sie in Wien als Marketenderin. Im Januar 2013 verstarb sie.

Ceija Stojka begann als künstlerische und technische Autodidaktin in den 1980er Jahren, mit Gedichten und Bildern ihre Erlebnisse als Kind und Angehörige einer Wiener Roma-Familie in der Zeit des Porajmos (Romani für den nationalsozialistischen Genozid an den Sinti und Roma) darzustellen. Der Bildband »Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz«, herausgegeben von Matthias Reichelt und Lith Bahlmann, zeigt nun großformatig auf knapp 500 Seiten annähernd umfassend dieses Werk.

Der Band, kunstvoll und mit Bedacht gestaltet sowie dreisprachig – deutsch, englisch, romani – übersetzt, ist eine Herausforderung. Er fordert die Beschäftigung mit einem Bildgegenstand und einer Person, deren Dimensionen sich aus der Betrachtung an sich längst nicht erfassen lassen: Die künstlerischen Darstellungen der (post)traumatischen Erfahrungen von Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager sind Zeugnisse und Mittel des Überlebens selbst; was sie erzählen und darstellen, sind Bruchteile von Erfahrungen, die indirekt unvermittelbar bleiben müssen.

Herzergreifende Intensität

Im Zuge der intensiven Auseinandersetzung mit einer Person und ihrem Schaffen, zum Beispiel anlässlich von Ausstellungen oder Buchprojekten, gerät dies manchmal in Vergessenheit. Mitunter entsteht so der Anspruch, interpretative Aussagen treffen zu können, die Person und ihre Arbeit über das Maß der Verständlichkeit hinaus erklären oder mitunter auch korrigieren zu müssen.

Ohne die redliche und beachtliche Arbeit der HerausgeberInnen herabsetzen zu wollen: Bei dem von ihnen angebotenen Rundgang durch eine der drei Ausstellungen, die bis Mitte September in Berlin und Ravensbrück zu sehen waren, wird deutlich, dass es den BesucherInnen, aber auch Bahlmann und Reichelt selbst nicht gelingt, Abstand von einer Blick- und Bildpolitik zu nehmen, in der Fragen und Antworten abwechselnd Faszination und Schrecken angesichts der Verfolgungsgeschichte der Roma-Familie Stojka spiegeln, eine klar positionierte Analyse der Kontinuitäten der rassistischen Verfolgung jedoch nur am Rande eine Rolle spielt.

Im Rundgang geht es immer wieder darum, herauszufinden, was genau das Kind Ceija Stojka erlebt hat und wie die älter und alt gewordene Ceija Stojka diese Erlebnisse in den 1990er und 2000er Jahren in Text und Bild ausdrücken möchte. Mich befremdet das, denn die Bilder Ceija Stojkas erscheinen – egal in welchem Format, mit enormer Heftigkeit und Leidenschaft geschaffen – nicht im Sinne von etwas Gewaltigem oder Großem, sondern im Sinne einer Intensität, die ich nur als herzergreifend zu beschreiben vermag.

Erklärt werden müssen sie nicht, denn die unterschiedlichen Schaffensperioden, die sich in gemischten Techniken ausdrücken, verbindet, dass die Künstlerin selbst erklärt, was sie für erklärenswert hält – mit kleinen und längeren Texten auf den Rückseiten ihrer Bilder, die für die Ausstellungen und die Monografie leider grammatikalisch korrigiert wurden.

Im Bildband selbst gehen den Bilderzyklen – die nach den Stationen Ceija Stojkas in der nationalsozialistischen Vernichtungsprogrammatik unterteilt sind – umfangreiche historisch-politische Erläuterungen voran. Unter anderem schreibt hier Timea Junghaus, ungarische Roma-Aktivistin und Kunsthistorikerin, Ceija Stojka habe »nachdrücklich deutlich gemacht, dass Kreativität ein integraler Bestandteil der Erforschung der Erinnerung an den Völkermord der Roma ist«. Texte wie der von Junghaus, aber auch die beigefügten Dokumentarfilme der Filmemacherin Karin Berger, ermöglichen es, sich der Person Ceija Stojka anders als im Ausstellungsformat zu nähern. Dabei deutet sich an, dass sie für verschiedene Personenkreise verschiedene Repräsentationsrollen auszufüllen hatte.

Ignoranz, Bevormundung, Nichtanerkennung

Drei Monate vor ihrem Tod, im Oktober 2012, schrieben Roma-Selbstorganisationen anlässlich einer Lesung zur Einweihung des Denkmal-Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas über Ceija Stojka: „Ihr Werk, das sowohl Malerei, Poesie und Literatur umfasst, bietet eine vielfältige Perspektive auf die schrecklichen Geschehnisse des Nationalsozialismus sowie seine Kontinuitäten, aber auch ihren ungebrochenen Lebenswillen. Ceija Stojka lebt und liebt ihr Leben als Romni wie die Sonnenblume: Die Sonnenblume ist die Blume des Rom. Sie ist Leben, sie gibt Nahrung. Sie hat die Farbe der Sonne. Ceija Stojka prägte als eine der ersten Rromnja, die mit ihren Werken in die Öffentlichkeit trat, das kollektive Gedächtnis der Rroma. Ihr Mut und ihr sehr persönliches Engagement sind zentral für unsere Geschichtsschreibung.“

Eine Geschichtsschreibung, die bis heute in den kollektiven deutschen Erinnerungen an die NS-Zeit kaum auftaucht. Die beschämend dürftige Aufarbeitung des Genozids an Sinti und Roma in Deutschland und europaweit schlägt sich in fortlaufender rassistischer Diskriminierung nieder sowie in maßloser Ignoranz gegenüber den permanenten Menschenrechtsverletzungen, die Menschen widerfahren, welche als Sinti und Roma gelten.

Ignoranz, Bevormundung und Nichtanerkennung treffen in der Regel auch die Aktiven selbstorganisierter Verbände, wenn sie im Rahmen aktueller Roma-Politik oder in kulturellen Formaten als KooperationspartnerInnen präsentiert werden. Nicht beachtet werden auch wissenschaftliche VertreterInnen, die über den Porajmos aus der Perspektive der Sinti und Roma schreiben, wie Silvio Peritore oder Kultur- und Filmschaffende wie Melanie Spitta. Stattdessen finden sich in Musik, Filmen und anderen künstlerischen Darstellungen immer noch Mystifizierungen und Mythologisierungen. Auch über Antiziganismus dürfen in der Regel vor allem weiße AkademikerInnen sprechen.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Ausnahmefigur der kunstschaffenden Romni und Überlebenden Ceija Stojka selbst als Ausnahme. Nichtanerkennung und Ignoranz treten in ihrer Biografie auch deshalb in den Hintergrund, weil sie dies als Persönlichkeit nicht zulässt. Dementsprechend würdigt auch der Bildband eine vielfältige und temperamentvolle Person, die sich abseits von Zuschreibungen bewegte und der dennoch Anerkennung gezollt wurde: In Wien gibt es seit diesem Jahr den Ceija-Stojka-Platz. Gerne hätte ich Ceija Stojkas Meinung zu der gestalterisch beeindruckenden Monografie gehört. Es ist gut, dass es diese gewichtige Sammlung ihres Schaffens nun gibt.

Lith Bahlmann/Matthias Reichelt (Hg.): Ceija Stojka (1933-2013). Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz. Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg 2014. 450 Seiten, 39,80 EUR.