Ehrenplakette für einen Nazi

ANMERKUNG: Der Titel stammt nicht vom Autor, sondern von der Redaktion der taz.

Artikel in der taz vom 23.12.2014:

Über die NS-Vergangenheit von Rudolf Spohr diskutiert Nordenham, die Ehrung behält er dennoch, Nachweise fehlten angeblich

Deutsche, die vor dem 1. Januar 1928 geboren sind, benötigen in Israel – anders als später geborene – ein vorab beantragtes Visum. Sie erhalten dies, sofern dem Antragsteller keine tiefe Verstrickung in den Nationalsozialismus nachgewiesen wurde. Um 1994 eine Ehrenplakette in einer niedersächsischen Kleinstadt verliehen zu bekommen, bedurfte es derlei Spielregeln nicht. Das gilt auch für den 1914 geborenen Rudolf Spohr, über dessen NS-Vergangenheit in Nordenham seit einigen Monaten debattiert wird. Er war unter anderem als Ordonnanzoffizier im Oberkommando des Heeres in der Ukraine und Russland im Einsatz. Die Stadt lehnte nun nach einer Prüfung ausgewählter Elemente seiner Laufbahn und einiger Dokumente eine posthume Aberkennung der städtischen Ehrenplakette ab.

Ein „unwürdiges Verhalten“ sei nicht nachweisbar, so Vize-Verwaltungschef Carsten Seyfarth. Die Ratsfraktionen nahmen seinen Bericht am vergangenen Donnerstag schweigend zur Kenntnis. „Eine Aussprache fand nicht statt“, schrieb die Nordwestzeitung. Thomas Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken, sagte dennoch gegenüber der taz, es sei „peinlich, erkennen zu müssen, dass ein Mann geehrt wurde, der während der Nazi-Zeit aktiver Teil des Geschehens war“. Da die Vergangenheit der Geehrten nicht bekannt gewesen sei und die Ehrung somit auf einer Täuschung beruht habe, könne nur die Nichtigkeit derselben festgestellt werden. Für Ellem Reim von der Kreiszeitung Wesermarsch, gab es keine wirkliche Entscheidung: „Die Verwaltung hat dargelegt, dass sie keinen Anlass zum Handeln sieht, weil es keine Beweise für eine nationalsozialistische Gesinnung oder Taten gebe. Die Politik hat nichts dazu gesagt und damit kundgetan, dass sie ebenfalls keinen Grund zum Handeln, ja nicht einmal zu einer Diskussion sieht.“

Reim hatte in der Kreiszeitung den Artikel über Rudolf Spohr veröffentlicht, der Anlass zu der Debatte wurde. Für eine Reihe zur „Wesermarsch im Krieg“ und besonders diesen Artikel hat sie mittlerweile einen Journalistenpreis des Presseklubs Bremerhaven-Unterweser erhalten. Dies sei der „äußerliche Höhepunkt“ der positiven Reaktionen gewesen, die sie erhalten habe: „Das waren ja nicht wenige, aber die meisten waren privat und persönlich und haben mich gerade deshalb sehr berührt.“ Das Echo sei so groß gewesen, weil das Thema nie so konkret angesprochen worden sei. „Nazigräuel gab es in den Augen der Nordenhamer nur anderswo, Antisemitismus und Rassismus ebenso, und Nazis kannte man sowieso nicht, und wenn, dann waren sie harmlos“, so die Journalistin.

Das Schweigen der Politik

Auch für Elmar Hüttenmeister, Kapitän in Ruhe aus Burhave, ist das Schweigen der Politik nicht akzeptabel. Die Nordenhamer Stadtverwaltung habe den formaljuristischen, nicht aber den moralisch-ethischen Aspekt in Sicht genommen. Über diesen Aspekt jedoch hätte es eine Debatte geben müssen. Hüttenmeister hat in der Nordenhamer Goethe-Gesellschaft einen Antrag auf Aberkennung der Ehrenmitgliedschaft Rudolf Spohrs gestellt. Spohr war 25 Jahre lang Vorsitzender des Vereins. In der Sitzung am 11. Januar wird darüber entschieden, dabei ist aufgrund der Formierung unterschiedlicher Fraktionen mit einer wesentlich lebendigeren Debatte zu rechnen. „Wir werden darüber diskutieren“, so der Ortsvorsitzende Burkhard Leimbach.

Ein deutliches Zeichen zu den vorangegangenen Veröffentlichungen kam aus der Familie Spohr selber: Ein Familienmitglied drohte anwaltlich mit Klagen aufgrund des Weiterreichens von Dokumenten an „Presseorgane und Behörden“ und forderte als Nachlassverwalter mit eingehender Vehemenz die Herausgabe der sieben Jahre lang ignorierten Dokumente ein. Für die Stadt Nordenham scheint der „Fall Spohr“ mit der gefällten Entscheidung abgehakt. Das kollektiv unwürdige Verhalten der Tätergeneration und seiner Volksgemeinschaft ist ebenso wenig Thema wie die Komplizenschaft ihrer Nachfahren.
JOHANNES SPOHR* *Der Autor ist der Enkel von Rudolf Spohr