Blutiger Mai in Syrien – die Iran-Strategie

Mai 2011: Über 9.000 Menschen wurden in Syrien in den vergangenen 9 Wochen verhaftet und in Gewahrsam genommen, es wurden mindestens zwei Gefangenen- und Folterlager in Fussballstadien eingerichtet, unzählige Wohnungen wurden willkürlich durchsucht, Militär hat mit Panzern und Scharfschützen die Vororte von Damascus und Homs, Daraa im Süden und den Küstenort Baniyas besetzt. Das Regime in Damaskus versucht alles, die Impulse und Aktionen der Protestbewegung systematisch zu verhindern. Der Protest in Syrien ist mit bisher mindestens 800 toten Demonstranten der blutigste der jüngsten arabischen Aufstände. Dennoch gab es an den vergangenen Freitagen noch immer mehr Demonstrationen an mehr Orten als bisher. Auf den militärischen Angriff auf eine Stadt folgen als Antwort häufig Demonstrationen in benachbarten Orten. Es sind vor allem Arbeiter und Angehörige der geringverdienenden Schichten, die die Proteste tragen. Aktivisten monieren die Zurückhaltung der Mittelschicht in Aleppo und Damaskus, deren Beteiligung für die Stärkung der Bewegung von großer Bedeutung wäre.

Mitglieder der lokalen Komitees sprechen ebenfalls von einem Strategiewechsel des Regimes in den vergangenen zwei Wochen. Dafür spreche das Mix aus – aus ihrer Sicht vorgetäuschter – Dialogbereitschaft auf der einen und dem Einsatz von Schusswaffen gegenüber den Demonstranten auf der anderen Seite. Habe die Abschreckung durch den massiven Geheimdienst- und Militäreinsatz mit dem Ergebnis Hunderter von Toten bislang nicht das Ergebnis der Beruhigung der Proteste zur Folge gehabt, wird jetzt versucht, mit Folter und Inhaftierungen Druck auszuüben.

Laut Berichten des Netzwerks der lokalen Komitees werden sehr viele Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu vom Regime bestimmten Zielgruppen festgenommen, bisher mindestens eine Woche inhaftiert und gefoltert. In Daraa und Baniyas wurden in den letzten zwei Wochen willkürlich Tausende Männer im Alter zwischen 20 und 35 Jahren festgenommen, in den Vororten von Damaskus wurden die Bewohner fast kompletter Strassenzüge verhaftet. Das Muster, nach dem diese Festnahmen erfolgen, scheint immer das gleiche zu sein: die Orte werden von Sicherheitspolizisten, der 4. Division des Militärs (unter der Führung vom Bruder des Staatschefs Assad) und teilweise auch der Präsidentengarde umstellt, gleichzeitig werden Strom und Telefonnetze abgeschaltet und Scharfschützen auf den Dächern positioniert. So werde eine nicht angekündigte Ausgangssperre durchgesetzt und Haus für Haus könne durchkämmt werden, um Leute festzunehmen.

Für das Regime ergeben sich aus dieser Strategie mehrere Vorteile: Erstens gibt es dadurch deutlich weniger grosse Beerdigungen von bei Protesten Erschossenen, deren Zeremonien in den letzten Wochen oftmals in kraftvollen Demonstrationen endeten; Zweitens ist die internationale Empörung und die öffentliche Aufmerksamkeit deutlich geringer, als bei der hohen Anzahl von Toten der vorangegangenen Wochen. Drittens schafft es die Regierung, durch die Massenfestnahmen und die Folterungen deutlich mehr Menschen einzuschüchtern als zuvor, da erkennbar mehr Leute davon betroffen sind. Dafür spricht auch, dass die meisten der Inhaftierten bereits nach einer Woche wieder entlassen werden und über ihre Mißhandlungen berichten – mit der Folge einer möglichen Abschreckung, sich an Protesten zu beteiligen, selbst wenn es momentan jeden treffen kann.

Ganz neu ist die Strategie nicht – vor gut zwei Jahren ist nach dem selben Muster die „Grüne Revolution“ im Iran niedergeschlagen worden. Auch den pro-demokratischen Aktivisten innerhalb und außerhalb Syriens ist es bislang nicht gelungen, darauf eine Antwort zu geben. Gleichzeitig lässt auch der Druck für die syrische Regierung nach, ein Bemühen um politische Lösungen zu signalisieren. Die internationale Staatengemeinschaft schweigt, das EU-Waffen-Embargo und die angekündigte Uno-Mission bleiben wirkungslos, letztere liess sich mit einem einfachen „Kopfschütteln“ des Regimes verhindern. So bleibt es weiterhin den Menschen im Land überlassen, sich der ungezügelten Brutalität entgegenzustellen und ihre Forderungen nach Freiheit und Demokratie unter Einsatz ihrer Freiheit und ihrer körperlichen Integrität aufrecht zu erhalten.

Noch ist es der Regierung mit ihren Gewaltmaßnahmen nicht gelungen, den Protest effektiv zu zerschlagen und die Menschen zu entmutigen. Noch wachsen die lokalen und internetzentrierten Netzwerke, immer mehr Informationen widerständiger Öffentlichkeitsarbeit gelangen nach aussen. Dennoch verschwinden auch immer wieder Aktivisten durch Festnahmen des syrischen Geheimdienst und sorgen so dafür, dass auch jede leise Euphorie immer von heftigem Entsetzen begleitet wird.

Danke an Adopt a Revolution