Austreten, bevor die Gebühr kommt

Artikel in der vorgänge Nr. 203 (3-2013), S. 95-97: 

Johannes Spohr

Dass ein Verein seine Mitgliedern beim Austritt zur Kasse bittet, ist zwar nicht schön, aber rechtens. Etwas Besonderes wird daraus jedoch, wenn der Austritt gegenüber einer staatlichen Stelle erklärt werden muss. Beim Austritt aus einer der beiden christlichen Kirchen ist genau das der Fall. In den meisten Bundesländern verdienen Staat und Kirchen gleichermaßen an den dabei erhobenen Gebühren. Auch in Berlin scheint ihre Einführung bereits beschlossene Sache zu sein. Ende September marschierten zum neunten Mal Tausende fundamentale Christ_innen beim „Marsch für das Leben“ durch Berlin. Die Abtreibungsgegner_innen sind im Aufwind und feiern eine Rekordbeteiligung. Doch nicht überall sind der christliche Glaube und seine Institutionen im Aufwind: Seit Jahren steigt im gesamten Bundesgebiet die Zahl der Kirchenaustritte an. Verlor die evangelische Kirche in Berlin im Jahr 2005 bereits 5.448 ihrer Mitglieder durch Austritt, waren es 2010 schon 7.319. Bei der katholischen Kirche verdoppelte sich die Zahl der Austritte im selben Zeitraum beinahe: von 2.297 im Jahr 2005 kletterte sie auf 5.038 in 2010.

Mit einer massiven Austrittswelle hat derzeit die katholische Kirche im Bistum Limburg zu kämpfen. Seitdem Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst vorgeworfen wird, riesige Summen für das Diözesanzentrum und das bischöfliche Haus ausgegeben zu haben, wurden viele Mitglieder „abtrünnig“. Insgesamt haben seit seinem Amtsantritt zum Jahresbeginn 2008 bis Ende vergangenen Jahres rund 25.000 Katholik_innen die Limburger Kirche verlassen.

Auch in Berlin hält die Austrittswelle an. Im ersten Quartal 2013 erklärten nach Angaben der Senatsverwaltung für Justiz 2.382 evangelische und 1.617 katholische Christ_innen ihren Kirchenaustritt. Das liegt deutlich über den Zahlen der Vorjahre. Betroffen ist hier vor allem die evangelische Kirche. Bei einer gleichbleibenden Entwicklung wird sie in etwa drei Jahren weniger als eine Million Gemeindemitglieder haben. Die evangelischen Sprecher_innen machen für diese Tendenz vor allem eine für sie ungünstige demografische Entwicklung verantwortlich. Ein nicht unerheblicher Grund für den erneuten Anstieg der Austritte könnte jedoch die im Mai vom Berliner Senat beschlossene Gebühr von 30 Euro sein. Bisher wurde das Gesetz noch nicht im Abgeordnetenhaus verabschiedet, daher liegt es nicht fern, dass einige ihre letzte Chance für den gebührenfreien Austritt nutzen.

Ein Eintritt bzw. Wiedereintritt in die christlichen Kirchen verschiedener Konfessionen erfolgt direkt bei der Kirche. Für den Austritt sind jedoch staatliche Stellen verantwortlich; in manchen Bundesländern das Standesamt, in anderen das Amtsgericht. Kostenfrei ist der Austritt bis dato nur noch in Berlin, Brandenburg und Bremen. Es werden also staatliche Stellen herangezogen, um kirchliche Verwaltungsangelegenheiten zu organisieren. Die Kirche muss dem Staat einen Anteil der kassierten Gebühren überlassen und spart im Gegenzug an Verwaltungsaufwand.

2008 bestätigte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die grundsätzliche Zulässigkeit der Kirchenaustrittsgebühren, nachdem ein Beschwerdeführer gegen die in Nordrhein-Westfalen 2006 eingeführten Gebühren eine Verfassungsbeschwerde eingereicht hatte (BVerfG v. 2.7.2008, 1 BvR 3006/07). Demnach habe der Austritt aus denjenigen Religionsgemeinschaften, die steuererhebungsberechtigt sind, nach Maßgabe staatlichen Rechts bei den jeweils zuständigen Landesbehörden zu erfolgen. Zulässig sei, dass der Austritt an die vorherige Zahlung einer Verwaltungsgebühr gekoppelt werde, die – je nach Landesrecht – bis zu 50 Euro betragen könne. Es wurde verneint, dass eine Gebühr von 30 Euro eine vom Kirchenaustritt abhaltende Wirkung habe. Der Beschwerdeführer sah in den Gebühren hingegen eine unzulässige Einschränkung seiner Religionsfreiheit.

Die nun in Berlin vorgesehene Gebühr orientiert sich an diesem Beschluss des BVerfG. Zuständig für den Gesetzesentwurf (Drs. 17/0991 v. 15.5.2013) ist die Senatsverwaltung für Kultur, angesiedelt beim Regierenden Bürgermeister; einhellig begrüßt wurde er von der CDU. Begründet wurde die Erhebung der Gebühren mit den durch die Kirchenaustritte verursachten Sachkosten. So müssten mündliche Erklärungen aufgeschrieben und Austrittsbescheinigungen ausgestellt werden. Auch Standesämter und Finanzbehörden müssten informiert werden.

Die Gesetzesänderung passierte den Senat „durch die kalte Küche“ – kaum jemand interessierte sich überhaupt dafür. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Abgeordnetenhaus den Vorschlag bestätigen wird. Kritik an dem Vorhaben blieb weitestgehend aus oder beschränkte sich auf die Höhe der eingeforderten Gebühr. DIE LINKE sprach von einem „Fischzug der öffentlichen Hand“. DIE PIRATEN forderten, die Gebühr für Minderjährige und sozial Schwache auszusetzen. Fréderic Verrycken (SPD) sagte, dass 30 Euro wohl niemanden von einem Austritt abhielten. Es sei nicht die Aufgabe des Landes, Kirchenaustritte zu subventionieren. Auch Susanna Kahlefeld, Abgeordnete für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, appellierte in ihrer Rede im Abgeordnetenhaus an eine angemessene Höhe der Gebühr: „Es hätte einen mehr als schlechten Beigeschmack, wenn der Senat aus den Gründen, die die Menschen derzeit vermehrt zum Kirchenaustritt bewegen, mangelhafte Aufklärung des sexuellen Missbrauchs, das kirchliche Arbeitsrecht, Rehabilitierung von Holocaustleugnern durch den Papst, einen finanziellen Gewinn erwirtschaften würde.“

Ein Effekt der Gebühr dürfte sein, dass der Austritt erschwert wird, weil Kirchenmitglieder die Zahlung scheuen – Legitimationsanspruch und Mitspracherecht der Kirchen bleiben durch die stabilen Mitgliederzahlen in öffentlichen Diskussionen erhalten. Ein anderer Effekt ist, dass stattfindende Austritte die staatlichen Kassen füllen. Somit ist das Gesetz wesentlich politischer, als es momentan diskutiert wird. Wer trotz Gebühr aussteigt, muss fest entschlossen sein.

Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) in Berlin protestierte in einer Pressemitteilung gegen die Pläne des Senats. „Das Recht, aus einer Religionsgemeinschaft auszutreten, ist Bestandteil des Menschenrechts auf Religionsfreiheit und darf nicht durch vermeidbare Kosten erschwert werden“, so Wolfgang Mahnfitz, Sprecher der Berliner Regionalgruppe des IBKA. Aus Sicht des IBKA seien die Gebühren vermeidbar, wenn die Kirchen die Verwaltung ihrer Mitglieder selbst übernähmen oder der Senat die Erstattung der Verwaltungskosten von den Kirchen verlangte.

JOHANNES SPOHR   lebt als freier Historiker und Journalist in Berlin.