Geschichte von unten, ganz oben

Ein Bericht zur Tagung „history is unwritten“ in Berlin, 6.-8. Dezember 2013

erschienen auf rosalux.de

Von Johannes Spohr

Es sind illustre Orte, an denen in diesen Tagen über den Umgang mit Geschichte verhandelt wird. In Hamburg findet eine internationale Tagung zum Umgang mit NS-Täterschaft in der Familie an der Helmut-Schmidt-Universität, der Universität der Bundeswehr, statt. Organisiert wird diese von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Wer sich an einen Konflikt um den Umgang mit der Bundeswehr in Neuengamme vor wenigen Jahren erinnert, wird das mitunter als Provokation empfinden. Darin kein Statement zu sehen, fällt jedenfalls nicht ganz leicht.

An verschiedenen Orten in Berlin fanden am Wochenende um den 7. Dezember Veranstaltungen unter dem Motto „history is unwritten“ statt. Das AutorInnenkollektiv Loukanikos und zahlreiche Kooperationspartner_innen luden dazu ein, über „linke Geschichtspolitik und kritische Wissenschaft“ zu diskutieren und knüpften damit an eine in der Analyse & Kritik geführte Debatte an. Es handelt sich um Beiträge zum Kampf um geschichtspolitische Deutungsmacht, gleichzeitig um das Hinterfragen der Grundlagen einer „eigenen“ Geschichtsschreibung linker Akteur_innen. Wie beispielsweise dem gesellschaftlich dominanten Narrativ widersprochen werden kann, Mythen widersprochen wird oder eigene gebildet und reproduziert werden, wird bereits seit einigen Monaten fortlaufend diskutiert. „Nur wenige Linke haben sich an diese Arbeit gemacht“, heißt es treffend in einem der Beiträge, die von der Analyse & Kritik nun gesammelt herausgegeben wurden.

Für einen gelungenen Auftakt sorgte bereits am Freitag das „tippel orchestra“ mit einer Text- und Soundcollage zu „Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Scheiterns zum Kommunismus“ in der Schankwirtschaft Laika. Durch eine Vielzahl gelesener, gesungener und angehörter Beiträge von Brecht bis Goldene Zitronen gelangten die Zuhörer_innen über Innen- und Außenansichten zu den Chancen des Scheiterns und warfen damit Fragen auf, die im Laufe des Wochenendes immer wieder zu diskutieren waren.

Für die samstägliche Tagung wählte man das Bundesgebäude von ver.di zwischen Köpi und Spreeufer. Wer hier die Chance ergriff, zu graben „wo man stand“, konnte auf die zeitgeschichtliche Relevanz des Ortes stoßen: Vor 11 Jahren musste der Wagenplatz Schwarzer Kanal dem Bau des Bundesgebäudes weichen. Auch vom nahe gelegenen Ersatzstandort wurden die Bewohner_innen inzwischen vertrieben. Vom siebten Stock aus lässt sich heute nicht nur die Köpi von oben und das Spreeufer zwischen Industrie- und Glasbauten, sondern auch eine nach wie vor brach liegende Fläche neben dem ver.di-Gebäude begutachten. Es handelt sich also um einen aussichtsreichen wie auch geschichtsträchtigen Ort, an dem heute, biografisch häufig zwischen Karriere und Engagement stehend, über Mythen und Erzählungen von der und über die Linke gesprochen wird.

Einem Eröffnungsvortrag und zwei Panels mit sehr akademisch gehaltenen Vorträgen folgt eine Workshop-Phase, in der viele angereiste Projekte wie die Initiative faites votre jeu Aus Frankfurt oder Audioscript aus Dresden die Gelegenheit nutzen konnten, ihre Arbeit, „kritische Praxen, Interventionen und Irritationen“, vorzustellen und zu diskutieren. Nicht nur das Format, auch die Inhalte der Workshop-Phase unterscheiden sich vom klassisch akademischen Vortrag. Auffallend dabei: ein Großteil der vorgestellten Projekte linker Geschichtsschreibung und -politik haben, im Unterschied zu den in den allermeisten Referaten, nicht die Linke zum Gegenstand. Diese Projekte zusammen zu bringen, erscheint als einer der großen Verdienste der Tagung.

Der deutliche spürbare Gap zwischen Vorträgen und Workshop hätte größer kaum sein können, so ergaben sich leider kaum Bezüge und fortlaufende Diskussionen. Ironischer Weise wurde dadurch – ohne eine tatsächliche Problematisierung – deutlich gemacht, wie schwierig ein Zusammenbringen von linkem Aktivismus und Akademie sein kann. Was die Beitragenden her- und umtreibt, was sie motiviert und was sie machen, kam vor allem im ersten Teil der Tagung nicht zur Sprache. Für eine geschichtspolitische Perspektive, die Grundlage derselben ist, wäre dies jedoch unerlässlich und gleichzeitig eine große Chance der Veranstaltung gewesen. Einen lobenswerten Schritt in diese Richtung hat kürzlich die Zeitschrift Phase2 mit dem Schwerpunkt „Akademisierung der Kritik“ gebracht und deutlich gemacht, dass der Zusammenhang von Biografie, Wissenschaft und Aktivismus maßgeblich relevant auch für geäußerte Kritik ist. Auf der Tagung jedoch wurden diese Faktoren weitestgehend entkoppelt bzw. blieben unbenannt. Zu unentschlossen wirkt somit auch der grundsätzlich lobenswerte Ansatz von Loukanikos, kritische Wissenschaft und linke Politik zusammen zu bringen. So konnte auch die Abschlussdiskussion, gedacht als Möglichkeit, „nach möglichen gemeinsamen Fluchtlinien kritischer Geschichtspolitik“ (Loukanikos) zu suchen, kaum Perspektiven hervorbringen. Für eine „gemeinsame Orientierung auf die Zukunft“ scheint der tatsächliche gemeinsame Nenner (noch) zu fehlen. Grundlage für eine sinnvolle Diskussion wäre jedoch auch, dass den Referierenden der Wille gemein ist, die akademisch-narzisstische Nabelschau zugunsten einer gemeinsam geführten Debatte zu vernachlässigen.

Für kontroverse Diskussionen mochte es an diesem Wochenende teilweise an Dissens oder Dringlichkeit fehlen. Es stellt sich, geht man von einem grundsätzlichen gemeinsamen Interesse jenseits der Selbstinszenierung aus, unweigerlich die Frage, wer die Ergebnisse der Tagung wie verarbeiten wird. Kollektiv vorbereitet durch das AutorInnenkollektiv Loukanikos und am heutigen Tage versuchsweise kollektiv diskutiert, werden sich die Konsequenzen hoffentlich nicht in erster Linie oder nur in den von vielen Beteiligten beackerten Dissertationen niederschlagen. Deutlich wird: Es mangelt an kollektiven Plattformen und Strukturen geschichtspolitischen Engagements, in denen es Raum zum Weiterführen von Diskussionen und der Umsetzung von Ergebnissen gäbe. Wichtige Entscheidungen werden vermutlich weniger beim Kartoffeleintopf in der Sodexho-Kantine gefällt als im Fortgang eines Prozesses, für den es Strukturen und Positionierungen auch jenseits von Akademie und Lebenslauf braucht. Lounanikos hat hier einen wichtigen und außergewöhnlichen Versuch unternommen, geschichtspolitisch in die Offensive zu kommen. Nicht zuletzt wurden an diesem Wochenende wichtige Impulse gegeben, im Blick zurück nach vorn.

Das Tagungsprogramm als PDF-Datei.

Foto: © Johannes Spohr

 

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