Artikel in Neues Deutschland vom 12.3.2016:
Während Idomeni im Schlamm versinkt, erreicht die Stimmung dort immer neue Tiefpunkte. Eine Lösung scheint fern.
Es ist nur eine minimale Atempause, die die Menschen im Zeltlager Idomeni durch den Sonnenschein nutzen können. Nach tagelangen starken Regenfällen hatte sich das Feld im Schlamm aufgelöst. Viele Zelte füllten sich mit Wasser, die Wege waren kaum noch passierbar. „Die Menschen sitzen regelrecht auf dem offenem Feld“, kommentiert dies eine Unterstützerin, die Plastiktüten verteilt. Etwa 70 Kinder sind in den letzten Tagen in ein lokales Krankenhaus eingeliefert worden. Es dauert lange, bis sich die die aktuellen politischen Entwicklungen in dieser Situation herumsprechen. Dass die mazedonische Grenze nun tatsächlich komplett geschlossen und die Westbalkanroute kaum noch passierbar ist, können Viele nicht fassen, noch wollen sie es akzeptieren. Es schält sich heraus, dass für die Tausenden in Idomeni keinerlei Lösung vorgesehen ist. Die Folgen der unterlassenen Hilfeleistung für die Menschen in der Gegend liefern eine deutlich Botschaft: Niemand soll sich mehr auf eigene Faust auf den Weg nach Europa machen. Eigentlich müsse man gerade jetzt im Regen protestieren, sagt Said, der hier seit 21 Tagen festsitzt. Aber momentan fehle auch ihm die nötige Kraft dafür. Dennoch demonstrieren immer wieder hunderte Geflüchtete auf den Gleisen und besetzten diese zeitweilig. Die lange Zeit dominierende Hoffnung auf positive Entscheidungen der Regierungen der EU-Länder weicht zunehmend Enttäuschung und Wut. Diskutiert werden alternative Möglichkeiten, die Grenze zu passieren. Geld für Schleuser hat jedoch inzwischen kaum noch jemand zur Verfügung. Seit Donnerstag besteigen zudem vor allem diejenigen, die von den Verhältnissen besonders zermürbt sind, Reisebusse, die zunächst nach Athen fahren sollen. „Ich bin mit meiner Familie seit zehn Tagen hier und halte es einfach nicht mehr aus“, kommentiert ein Einsteigender die Situation. Derzeit wird in ganz Griechenland nach alternativen Unterbringungsmöglichkeiten gesucht. Auch in den nächstgelegenen Unterkünften – Nea Kavala und Diavata – gebe es freie Plätze, so Giorgos Kyritsis, Sprecher der Regierung in der Flüchtlingskrise. Über Flugblätter wird angepriesen, sich für das UN-Relocation-Programm zu bewerben, das angekommene Geflüchtete in Europa gleichmäßiger in den Ländern verteilen soll. Die Anerkennungsquote liegt jedoch extrem niedrig, so dass dies für die wenigsten eine tatsächliche Lösung darstellen dürfte. Über die vom Militär betriebenen Camps schwanken die Einschätzungen, eine derart kontrollierte Situation stellt jedoch für viele keine Option dar. Manche erhoffen sich, dort zumindest etwas erträglichere Verhältnisse vorzufinden. Said jedoch stellt klar, er könne darin keine Stunde aushalten. Auch wenn man das Camp verlassen könne, es sei für ihn wie ein Gefängnis. Eine Gruppe junger Männer diskutiert, was zu tun sei und übersetzt das einfach Ergebnis: „Alles, was wir wollen, ist über diese Grenze und weiter in Richtung Deutschland kommen!“. So sieht es auch Alima, die einen Sohn in Frankfurt habe. Er frage ständig, wann sie endlich komme. Sie will sich keinesfalls mit Bussen von hier wegbringen lassen, die Strategie dahinter sei klar: „Wir sollen in die geordneten und zentralisierten Camps, damit wir hier keinen Druck mehr ausüben können. Aber diese Strategie wird nicht aufgehen.“ Aus Regierungskreisen heißt es, über 1000 Menschen hätten das Camp inzwischen mit den Bussen oder eigenmächtig verlassen. Jedoch reißt auch der Zustrom neu Ankommender nicht ab.